Nahostexperte sieht in Papstreise großen Schritt des interreligiösen Dialogs

"Eine Sprache der Liebe"

Eine Reise voller großer Gesten: Papst Franziskus hat im Irak nicht nur die Christen bestärkt, sondern auch wichtige Zeichen für den interreligiösen Dialog gesetzt. Nadim Amman ist Nahostexperte und zieht eine positive Bilanz der Reise.

Papst Franziskus im Irak / © Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus im Irak / © Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Gestern hat der Papst mit den Gläubigen zwischen den Trümmern der Stadt Mossul gebetet. Warum war das für die Menschen dort so wichtig?

Nadim Ammann (Nahostexperte, Abteilung Weltkirche, Erzbischöfliches Generalvikariat Köln): Mossul ist - glaube ich - das Sinnbild der Zerstörung, die dieser Krieg verursacht hat. Ich war 2018 selber in der Stadt gewesen. So etwas hatte ich tatsächlich vorher noch nicht gesehen. Die Bilder erinnern ein bisschen an Köln nach dem Zweiten Weltkrieg. Da ist unheimlich viel kaputt gemacht worden, wohl die einzige Möglichkeit, den IS zu vertreiben.

Von daher ist das natürlich unheimlich beeindruckend, dass der Papst genau da hingegangen ist. Da gibt es diesen zentralen Platz, wo mehrere Kirchen verschiedener Riten waren, die jetzt zerstört sind. Und genau in diesen Ruinen hat er dann dieses Gebet vollzogen. Das sind beeindruckende Bilder und das ist natürlich für die Christen, die aus dieser Stadt kommen, auch etwas ganz besonderes.

Man muss aber auch sagen, dass Mossul schon lange vor dem IS eine Stadt war, die sich immer mehr radikalisiert hat und dass die Menschen schon damals die Stadt verlassen haben. Die Bischöfe lebten ort auch schon nicht mehr. Der syrisch-katholische und der chaldäische Bischof, die heißen ja jeweils "Bischof von Mossul", hatten schon lange ihren Bischofssitz nicht mehr in der Stadt. Aus Sicherheitsgründen hatten die den nach Karakosch und nach Karamless verlegt. Und so geht es vielen Christen, die eigentlich mit dieser Stadt verbunden sind, die aber schon lange nicht mehr dort leben.

DOMRADIO.DE: Was bedeutet der Papstbesuch jetzt für die Menschen dort, für die Christen, die noch da sind?

Ammann: Ein ganz, ganz starkes Zeichen! Der Papst kommt und zeigt ihnen das, worauf Sie so lange gehofft haben: ein Zeichen, dass sie nicht vergessen sind, dass man an sie denkt, dass die Kirche weltweit mit ihnen verbunden ist, dass man um die Bedeutung der christlichen Geschichte auch in dieser wichtigen Region weiß und dass man sich eigentlich auch wünscht, dass sie da bleiben und dass alles gemacht wird, dass sie da bleiben können.

Deswegen ist der Papst auch so groß gefeiert worden, dass er trotz der Corona-Krise, trotz der aktuellen politischen Situation gekommen ist. Das ist Wahnsinn.

DOMRADIO.DE: Die Zahl der Christen im Irak ist in den vergangenen Jahrzehnten von fast 1,5 Millionen auf 250.000 geschrumpft. Woran liegt das denn? Sicher nicht nur an Zerstörung, Gewalt und Flucht.

Ammann: Ich habe viele Flüchtlinge auch in den Nachbarländern, in Jordanien, im Libanon, in der Türkei besucht, mit ihnen gesprochen und keiner möchte mehr zurück. Das liegt tatsächlich nicht nur an der aktuellen Krise, die hat eigentlich nur das Fass zum Überlaufen gebracht.

Es ist einfach so, dass die Christen mehrfach vertrieben worden sind und zunehmend keine Perspektive mehr für ihre Zukunft und für ihre Kinder gesehen haben. Wer eine junge Familie hat, überlegt sich, ob er seine Kinder in diesem Land noch aufwachsen sieht.

Und man muss ja auch ehrlicherweise sagen, dass in den Regionen, in die die Christen zurückgekehrt sind, die Berufsperspektive und die Sicherheit gar nicht gegeben ist, dass man einfach ein ganz normales Leben führen kann. Das geht so nicht, denn sobald man eine Stadt verlässt, sind Checkpoints, verschiedene Milizen, die die Fahrzeuge kontrollieren und man weiß einfach nicht, was die Zukunft bringt.

DOMRADIO.DE: Welche Folgen hat es denn, dass es jetzt nur noch so wenige Christen im Irak sind?

Ammann: Ich glaube, das hat dieser Besuch auch nochmal ganz deutlich gezeigt. Ich habe mir die Ansprachen des Heiligen Vaters angehört. Bei all diesen Veranstaltungen waren ja auch Muslime dabei, auch bei der Messe in Erbil, da war die kurdische Regierung mit dabei.

Die Texte, die da vorgetragen worden sind, die Fürbitten in verschiedenen Sprachen, das ist eine Sprache der Liebe, des Zusammenlebens, des Brückenbauens. Also wenn die Christen aus dieser Region komplett verschwinden würden, würde genau dieses Element, dieses Verbindende, dieses Engagement auch der Christen, das soziale Engagement mit Schulen, mit Krankenhäusern und so weiter, das würde ja auch alles verschwinden.

DOMRADIO.DE: Glauben Sie denn, dass der Papstbesuch in der Lage etwas ändern kann? Also kann er mehr sein als ein symbolischer Akt?

Ammann: Ich glaube, dass die Begegnung mit dem Großajatollah Ali al-Sistani etwas in Bewegung gebracht hat. Diese Bemühungen des Heiligen Vaters, gerade zur muslimischen Welt Brücken zu schlagen - nicht nur, aber er macht das ja ganz eindrucksvoll mit dem sunnitischen Großimam Ahmad al-Tayyeb, mit dem er ja in Abu Dhabi auch die Brüderlichkeitserklärung unterschrieben hat - und jetzt diese Begegnung mit einem der großen schiitischen Führer.

Also er will hier wirklich etwas machen. Er will wirklich etwas bewegen. und er will diese Zusammenkunft mit den Religionsführern der muslimischen Welt. Und das, was da gesagt worden ist, ist ja auch sehr stark.

Wenn da die Schiiten sagen, die Christen haben eigentlich keinen Grund zur Sorge bei uns, dann ist das schon einmal eine Aussage und man kann nur hoffen - ich glaube, viel mehr als Hoffnung ist es tatsächlich nicht -, dass das Früchte trägt und auch bei den Leuten ankommt, dass das Zusammenleben die bessere Option ist als das gegeneinander Vorgehen.

Das Gespräch führte Dagmar Peters.


Nadim Ammann, Leiter des der Diözesanstelle Welkirche-Weltmission im Erzbistum Köln (KNA)
Nadim Ammann, Leiter des der Diözesanstelle Welkirche-Weltmission im Erzbistum Köln / ( KNA )

Papst Franziskus auf dem Hosh al-Bieaa Kirchenplatz zwischen von Granaten zerstörten Gebäuden / © Andrew Medichini/AP (dpa)
Papst Franziskus auf dem Hosh al-Bieaa Kirchenplatz zwischen von Granaten zerstörten Gebäuden / © Andrew Medichini/AP ( dpa )

Papst Franziskus unterhält sich mit dem Großajatollah Ali al-Sistani / © Vatican Media/AP (dpa)
Papst Franziskus unterhält sich mit dem Großajatollah Ali al-Sistani / © Vatican Media/AP ( dpa )
Quelle:
DR
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