DOMRADIO.DE: Wie verwirrend finden Sie gerade die Corona-Politik?
Rainer Maria Schießler (Münchener Pfarrer): Sehr verunsichernd, nicht nur, weil es ein Flickenteppich über ganz Deutschland ist, sondern weil man sich an nichts halten kann und vor allem, weil man dieses letzte Jahr auch nicht mit hereinnimmt. Wir stehen ja nicht am Anfang, wie letztes Jahr an Ostern. Wir haben ja jetzt schon ein Jahr Erfahrung. Wir wissen, was Wellen sind. Wir wissen, wie wir uns darauf einstellen können. Es geht nicht darum, uns zu verstecken, sondern zu lernen, mit diesem Virus zu leben, umzugehen mit Abstandsregeln und trotzdem das Leben aufrecht zu erhalten, das sollte man uns zumuten können.
DOMRADIO.DE: Kanzlerin Merkel hat sich bei der Bevölkerung entschuldigt. Sollte man ihr diese Entschuldigung hoch anrechnen?
Schießler: Eine Entschuldigung ist immer hoch anzurechnen, gerade in dieser Position. Aber jetzt sollte man daraus nicht schon wieder eine Leistung machen. Sie hat vielmehr gesehen, dass da ein Fehler passiert ist. Und da kann man hergehen und sagen, wie die Jugendlichen: shit happens - das war falsch. Und dann, klar, kann man das zur Kenntnis nehmen. Ich finde das Nachhaken seitens der Opposition nicht unbedingt zielführend, dass man jetzt eine Vertrauensfrage fordert. Es ist vom Tisch, wir müssen uns weiter orientieren. Modell Tübingen: Der Grünen-Politiker Boris Palmer hatte gestern ein ganz tolles Interview im Fernsehen gegeben. Ich glaube, da kann man sich orientieren. Man muss erfinderisch sein, Leben lernen. Man sollte nicht leichtsinnig sein, aber das Leben in den Blick nehmen, das ist jetzt unser aller Aufgabe. Wir brauchen keinen Schuldigen, wir brauchen Lösungen.
DOMRADIO.DE: Jetzt haben wir ja auch schon einiges geschafft in der Krise, es gibt kleine Erfolge, immerhin wird in Deutschland geimpft. Das geht vielen aber nicht schnell genug. Wie sehen Sie das?
Schießler: Das Problem ist nicht nur, dass der Impfstoff nicht da ist, sondern, dass man zu sehr Hoffnungen gemacht hat. Wir haben über die Impfpflicht geredet, ohne Impfstoff zu haben. Das wäre so als wenn ich sage: Jeder, der in Bayern lebt, muss Ski fahren können, aber der Klimawandel bringt keinen Schnee mehr. Das ist ja Blödsinn. Wir müssen einfach die Wirklichkeit wahrnehmen. Aber jetzt heißt es ja, im zweiten Quartal würden viele Impfdosen geliefert. Vielleicht kann man außerdem noch dagegen angehen, dass der Astrazeneca-Impfstoff in Italien gehortet wird, anstatt dass er verspritzt wird. Je mehr wir impfen, umso schneller können wir uns an dieses neue Leben gewöhnen.
DOMRADIO.DE: Es ist für uns als Bevölkerung aber scheinbar manchmal schwierig, diese kleinen Erfolge zu sehen, sondern wir sehen immer eher das Negative. Warum?
Schießler: Woran es liegt, weiß ich nicht, es ist ärgerlich. Ich sage immer: warum immer das halbleere Glas sehen? Sehen wir doch das halbvolle. Was wir allein in diesem Jahr geschafft haben, dass wir die Todeszahlen allein mit den Impfungen jetzt schon so gedrückt haben. Es ist doch positiv, dass wir überhaupt den Impfstoff haben. Wir sehen nicht nur Licht am Ende des Tunnels, wir sehen den Ausgang ja bereits. Da sollten wir uns dann nochmal gemeinsam unterhaken und anstrengen. Nur wer positiv denkt, kommt ans Ziel. Oder wie heißt es so schön? Humor und Geduld sind die Kamele, die dich durch jede Wüste tragen.
DOMRADIO.DE: In diesen Tagen sprechen wir viel über Ostern. Wenn wir jetzt auf nächste Woche gucken: Wie sieht es bei Ihnen aus? Was planen Sie für diese Kar- und Ostertage?
Schießler: Ja, wir sind natürlich die letzten zwei Tage überrumpelt worden mit dem Thema Osterruhe. Und jetzt machen wir es dann doch wieder anders. Jetzt haben wir sozusagen "Mixed Pickles", wir machen also beides. Wir machen einfache Gottesdienste, die nicht länger sein sollen als eine Stunde, dazu gehören die verkürzte Osternacht und die Karfreitagsliturgie. Außerdem streamen wir drei Mal, am Gründonnerstag, Karfreitag und Ostersonntag. Hochfest und Festgottesdienst werden gestreamt und wir wir feiern im Präsenzgottesdienst, aber wirklich nur mit einer gewissen Anzahl, maximal 100 Leute, die wir mit den AHA-Regeln unterbringen können. Und um die Leute nicht ausschließen zu müssen, streamen wir die Gottesdienste. Ich glaube, da haben wir eine gute Form gefunden. Es wird ein ganz besonderes Ostern aber besser als letztes Jahr, wo es gar nicht richtig stattfand.
Das Interview führte Julia Reck.