DOMRADIO.DE: Was bekommen Sie mit von der Lage in Myanmar im Moment?
Jörg Dunsbach (Pfarrer der deutschen Gemeinde Yangon mit Sitz in Bangkok): Die Informationslage ist äußerst schwierig. Es ist kaum noch möglich, Menschen in Myanmar zu erreichen, mit denen ich persönlich in Kontakt stehe. Das liegt zum Teil daran, dass viele im Moment mit anderen Dingen beschäftigt sind, das alltägliche Leben irgendwie zu organisieren.
Es liegt auch zum Teil daran, dass eben die Möglichkeiten des Internets vom Militär deutlich eingeschränkt sind. Es gibt nur zeitweise Internet, auch mobiles Internet, das genutzt werden kann. Die meiste Zeit ist es allerdings abgeschaltet. Ob und wann Nachrichten, die ich in dieses Land schicke, überhaupt ankommen, entzieht sich meiner Kenntnis.
Gut ist es, dann immer wieder zu hören, dass Menschen wohlauf sind oder dass sie eben auch jüngst auf die Empfehlung des Auswärtigen Amtes hin das Land verlassen haben und in Sicherheit sind. Wie sich das allerdings in Zukunft entwickeln wird, bleibt abzuwarten.
DOMRADIO.DE: Im Moment gibt es ja ein großes internationales Interesse, das ist ja nicht in allen Krisengebieten so. Wie erklären Sie sich das?
Dunsbach: Die Meldungen, die man in den Nachrichten sieht, sind durchaus bemerkenswert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Land, das ansonsten nicht unbedingt im Blickfeld der europäischen Medien ist, im Moment aufgrund dieser Lage fast täglich in den Medien erscheint.
Das Interesse ist tatsächlich sehr groß und es ist auch zu vermuten, und zwar mit Recht, dass die westliche Hemisphäre daran interessiert ist, das Bewusstsein zu schärfen für die Situation in Myanmar, um den internationalen Druck aufrechtzuerhalten und die Menschen in Myanmar nicht zu vergessen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein anderes Land, in dem es zu Konflikten kommt, so oft zumindest in den Tagesschau-Medien vorkommt wie im Moment Myanmar.
Das hilft den Menschen, weil insgesamt ja auch nach einer internationalen Lösung gesucht werden muss. Dahinter stehen durchaus geostrategische und geopolitische Überlegungen. Der Einflussbereich Chinas in Südostasien wächst. Auch Myanmar ist in diesen Einflussbereich schon vor Jahren hineingeraten und die Regierung in China versucht natürlich, ihre Möglichkeiten auch jetzt in diesem Konfliktfall auszubauen.
Deshalb ist es nicht mehr als recht und billig, wenn die westliche Welt sehr deutlich auf Myanmar schaut, um eben ihre Möglichkeiten zu nutzen. Zum einen den Menschen in Myanmar zu helfen. Zum anderen aber auch die Situation nicht China oder Russland zu überlassen, sondern sich auch als einer der Global Players anzumelden und Interessen anzumelden, bei den Regelungen dieses Konfliktes in Myanmar.
DOMRADIO.DE: Kann man denn den Bildern in den Nachrichten vertrauen? Es ist ja schwierig, unabhängige Beobachter im Land zu finden.
Dunsbach: Die Bilder, die man sieht, sind natürlich gefiltert. Man sieht nicht immer alles und die Kommentare sind natürlich auch erst aus zweiter Hand. Es ist und bleibt allerdings schwer, unmittelbar aus dem Land Informationen zu bekommen, weil diese Menschen, die dort z.B. als Journalist arbeiten, natürlich auch damit rechnen müssen, verhaftet zu werden oder eben sogar auch um ihr Leben fürchten müssen.
Deshalb sind wir alle dankbar, wenn wir Lebenszeichen erhalten von Menschen, die wir kennen und die wir schätzen. aber auch in den Medien immer wieder sehen, dass Myanmar nicht vergessen ist von der Welt und dass alle mit sehr wachen Augen auf diese Situation schauen.
DOMRADIO.DE: Kann man denn vom bösen Militär und den guten Protestierenden sprechen oder ist das zu simpel betrachtet?
Dunsbach: Die Wirklichkeit ist ja immer komplexer als man von außen denkt. Diese dualistische Sicht auf die Situation in Myanmar ist ebenfalls problematisch. Das Militär, das seit Jahrzehnten ein hohes Maß an Einfluss in diesem Land hat und auch eben das Parlament mit Sitzten besetzt, die nicht gewählt worden sind. Daran entzündete sich ja im Grunde der Streit und der Protest nach den erfolgten Wahlen im November, die sich so in der Sitzverteilung des Parlaments natürlich nicht zeigen, weil das Militär feste Sitze hat, die über das Votum des Volkes hinausgehen und dazu auch die Schlüsselpositionen in den Ministerien besetzt.
Das alles führt dazu, dass Menschen natürlich ihrer Wahl und ihrer Stimme auch Ausdruck geben möchten, was dazu führte, dass es zu ersten Protesten kam und dann natürlich zu dem Militärputsch am 1. Februar.
Dass diese Proteste Stück für Stück eskaliert sind, liegt natürlich an beiden Seiten. Das Militär, das natürlicherweise nicht nachgeben will, die Protestierenden, die natürlich ihr gutes Recht kämpfen möchten und dann bei verschiedenen provokanten Aktionen von beiden Seiten aus die Spirale der Gewalt nach oben treiben. So hat vor kurzem das Militär deutlich gemacht, dass jeder, der protestiert, als Terrorist anzusehen ist und damit die gewalttätigen Maßnahmen auch rechtfertigt.
Schade ist, dass unter den eher aggressiven Teilen der Protestierenden genau die gleiche Meinung vorherrscht. Das heißt, Teile der Protestierenden sagen: Jeder, der nicht demonstriert, ist ein Terrorist. Man begibt sich also auf die gleiche Ebene des Militärs und antwortet eben auch mit Gewalt. Dass das nicht zielführend sein kann, versteht jeder.
Auf der anderen Seite habe ich durchaus Verständnis dafür, wenn Menschen darum kämpfen, ihre Freiheit zu bewahren, die sie in den letzten Jahren schon kennengelernt haben und sich das vom Militär nicht mehr nehmen lassen wollen.
DOMRADIO.DE: Sie betreuen auch die deutschsprachige Gemeinde in Yangon. Wie sah denn vor dem Putsch dort das deutsche und katholische Leben aus?
Dunsbach: Vor fünf Jahren hatte ich die große Möglichkeit, dort eine neue deutschsprachige Gemeinde ins Leben zu rufen. In Hinblick auf die Situation der "Expats", also derjenigen, die aus Deutschland bzw. aus den deutschsprachigen Ländern wie Schweiz, Österreich und Deutschland kommen, dort in Yangon lebten und arbeiten, hat sich die Möglichkeit ergeben, auch dort regelmäßig Präsenz zu zeigen mit Angeboten für die Gemeinde im pastoralen Bereich, aber auch im gottesdienstlichen Bereich. Die Unterstützung durch die deutsche Botschaft vor Ort und insbesondere durch Kardinal Bo war außerordentlich.
Kardinal Bo hat der deutschen Gemeinde sogar sein eigenes Bischofshaus geöffnet, indem wir regelmäßig zwischen vier und sechs Mal pro Jahr auch Gottesdienst feiern konnten bzw. die Möglichkeiten zu nutzen, auch dort als deutschsprachige Gemeinde zusammenzukommen.
Durch den Kontakt zum Bischofshaus und auch zu den verantwortlichen Priestern, die in Yangon arbeiten, hatte die deutsche Gemeinde auch Einblick in das Leben der zumindest katholischen Gemeinden und Kirchen in Myanmar bekommen. Es ist ein sehr buddhistisch geprägtes Land, das durchaus auch andere Einflüsse zulassen konnte. Im Grunde war Myanmar zwar ein Land, in dem mehrere ethnische Gruppen und auch Religionen vertreten sind, die aber in einem guten Agreement miteinander auskamen, was zumindest die Religionen angeht.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt die katholische Kirche im Land?
Dunsbach: Die Kirche hat einen guten Stand in Myanmar. Sie hat dafür gesorgt, dass dieses Land sich insbesondere in den letzten Jahren gut entwickeln konnte. Nichtsdestotrotz hat Kardinal Bo immer wieder darauf hingewiesen, wie die Situation der Menschen im Land ist, dass die Konflikte zwischen den ethnischen Gruppen friedlich gelöst werden müssen und sich Kirche stets angeboten hat, auch vermittelnd einzugreifen und tätig zu werden.
Davon profitierten natürlich auch die katholischen und evangelischen Christen der deutschen Sprache in Myanmar, die diese Situation mit Freude genießen konnten, ihrem eigenen Glauben treu bleiben zu können und auch eigenes kirchliches und unter europäischen Gesichtspunkten gepflegtes Glaubensleben zu pflegen und auch voranzutreiben.
Insofern ist die Gemeinde dort in den letzten fünf Jahren gewachsen. Auch Weihbischof König aus Paderborn konnte sich im Herbst 2019 ein eigenes Bild davon machen, als er nicht nur die Gemeinde in Bangkok, sondern auch in Myanmar besucht hat. Seitdem gibt es auch auf dieser Ebene gute Kontakte nach Yangon, die im Moment natürlich durch die entsprechende Situation eher schwierig geworden sind. Wir versuchen über Umwege, über Kontaktpersonen, über Netzwerk auch grenzüberschreitend an Informationen heranzukommen. Insbesondere in der Frage, wo es um Leben und Tod geht.
DOMRADIO.DE: Wie beurteilen Sie denn das internationale Engagement für Myanmar? Passiert da genug?
Dunsbach: Große internationale Organisationen versuchen auf einem eher inoffiziellen Weg tatsächlich, Menschen dort die Flucht zu ermöglichen. Es muss darum gehen, dass bei Einzelfallprüfung verschiedene Menschen die Möglichkeit haben, Myanmar zu verlassen, weil sie damit rechnen müssen, nicht nur inhaftiert, sondern eben auch umgebracht zu werden. Deshalb hat Thailand sich dazu entschlossen, Flüchtlingscamps zu organisieren, entlang der Grenze zu Myanmar und auf der anderen Seite bei Einzelfällen auch zu ermöglichen, nicht nur Myanmar zu verlassen, sondern eben auch in Drittstaaten auszureisen.
Erschreckend ist, dass die deutsche Bundesregierung in dieser Beziehung nicht unbedingt offene Ohren zeigt. Was mich zumindest wundert, weil ich ansonsten feststelle, dass in Fragen der Flüchtlingsfürsorge und -hilfe Deutschland ein ganz anderes Bild zeigt. Hier, wo es tatsächlich um Leben und Tod und die Zukunft dieses Landes geht, würde ich mir wünschen, dass auch die deutsche Bundesregierung in dieser Beziehung die gleiche Offenheit zeigt wie bei Flüchtlingen aus anderen Ländern.
Insbesondere geht es ja darum, Menschen nicht nur in eine andere Welt zu bringen, sondern ihnen temporär Schutz zu bieten, damit sie sich dann, wenn sich die Situation wieder verändert hat, tatsächlich zurückkehren und ihr Land wieder aufbauen. Das kann und muss Ziel einer Flüchtlingshilfe sein, die auch Myanmar verdient hat.
DOMRADIO.DE: Was denken Sie, wie es weitergehen wird? Der Konflikt zwischen Militär und Protestierenden scheint ja festgefahren.
Dunsbach: Tatsächlich ist das eine Frage, die sich alle Menschen stellen, die einen Blick auf Myanmar haben, nicht nur die Menschen, die dort leben, sondern auch Menschen hier in Thailand, oder die anderen Staaten Südostasiens. Aber ich denke, auch der Westen hat ein grundlegendes Interesse daran, dafür zu sorgen, dass Stabilität wiederhergestellt wird.
Leider ist es so, dass der Leidensdruck im Moment noch nicht groß genug ist, damit das Militär einlenkt und sich auf einen Dialog einlässt. Wichtig ist, dass dieser Dialog tatsächlich breit aufgestellt wird. Das heißt, er muss nicht nur stattfinden zwischen Militär und den Vertretern des Volkes, dem Parlament, der Regierung und auch den Protestierenden. Sondern in diesen Dialog muss auch Aung San Suu Kyi einbezogen werden. Die Große Mutter des Landes, die nach wie vor, obwohl in Hausarrest mal wieder, trotzdem großes Ansehen genießt.
Aber auch alle betroffenen ethnischen Gruppen in diesem Land müssen in diesen Dialog mit einbezogen werden. Myanmar ist ein Symbol für den Konflikt, nicht nur jetzt wegen der Proteste, sondern auch schon vorher mit den verschiedenen ethnischen Gruppen, die in diesem Vielvölkerstaat nicht immer friedlich miteinander zusammenleben und auch den bewaffneten Kampf gegen das Militär in den letzten Jahren geführt haben.
Und auch umgekehrt. Das Militär, das jetzt im Schatten dieser Proteste wiederum Luftangriffe fliegt gegen verschiedene ethnische Gruppen. Ein Konflikt, der bei weitem nicht in der Öffentlichkeit präsent ist und der meistens auch übersehen wird.
Das heißt, die Zukunft kann nur gelingen, wenn alle beteiligten Gruppen miteinander an einem runden Tisch über alle Probleme reden und Konfliktbewältigungsstrategien finden, die der Gewalt ein Ende setzen und allen Gruppen, Völkern und Ethnien die Möglichkeit geben, in diesem Land friedlich miteinander zu leben, sich gegenseitig zu achten und eine Regierungsform zu finden, die den Willen des Volkes abbildet und auch entsprechende Freiheit in den Entscheidungsmöglichkeiten bietet, die nicht vom Militär bedingt und vorgegeben sind, sondern der freien Wahl eines Volkes und ihrer entsprechenden politischen Vertretung in einem Parlament und in einer Regierung auch entsprechen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.