Rotbraunes Fell, blaugrüne Augen, eine schmale Statur: Katze Maxi weicht ihrem Frauchen nur selten von der Seite. "Sie ist ein Lichtblick", sagt Diana Sommer (Name geändert). Und das schon lange: Mit 24 Jahren hat Maxi ein stolzes Katzenalter erreicht.
Sommer, 75, sollte nach ärztlicher Prognose schon längst gestorben sein. Sie hat mehrere Erkrankungen, immer wieder quälen sie Schmerzen. Claudia Reifenberg besucht die beiden alten Damen regelmäßig. Vielleicht hätten Mensch und Tier eine Art Pakt geschlossen, sagt die Palliativschwester mit einem nachdenklichen Lächeln: "Keine will die andere alleine lassen."
Heilung nicht möglich
Menschen mit sogenannter infauster Prognose kommen für ambulante Versorgung in Frage, wie Reifenberg sie in Bonn anbietet. "Infaust" bedeutet, dass eine Heilung nicht möglich und mit dem Tod zu rechnen ist. Es bedeutet nicht, dass Betroffene in nächster Zeit sterben müssen.
"Oft wenden sich die Patienten relativ spät an uns", sagt Reifenberg. Aber: "Je früher wir sie kennenlernen, desto mehr können wir für sie tun."
Bedarf der Patienten
Medikamente und Hilfsmittel besorgen, Zusammenarbeit mit Hausärzten und Pflegediensten, Schmerzen kontrollieren: Diese Aufgaben machen einen großen Teil der palliativen Versorgung aus. Aber: "Ich bin auch viel einfach 'da', trinke Kaffee, esse Kuchen und höre mir die Sorgen an", sagt Reifenberg.
Wie viele Patienten sie gleichzeitig betreut, kann sehr unterschiedlich sein. Zwischen drei und zehn, sagt sie: "Ich habe nie einen Plan im Kopf, 'da gehe ich jeden Tag hin' oder 'ich muss jeden Patienten jeden Tag sehen'." Vielmehr orientiert sich ihr Tagesablauf am Bedarf. Manchen genügt ein Besuch pro Woche, anderen ein Telefonat alle paar Tage. Der Palliativdienst der Bürgerstiftung Rheinviertel ist 24 Stunden erreichbar.
"Das ist fast das Wichtigste", hat Reifenberg beobachtet. "Die Patienten wissen, wenn ich ein Problem habe, kann ich anrufen, und es kommt jemand. Einigen reicht es, dass wir uns einmal kennen lernen und sie sich dann jederzeit melden können." Zu anderen Patienten fährt Reifenberg mehrmals am Tag.
Aufblühen auf der Palliativstation
Bernd Müller stattet jedem seiner Patienten möglichst einen Kurzbesuch pro Tag ab. Monika Nadler (Name geändert) lächelt, als der Seelsorger ihr Zimmer betritt. Sie liegt wegen einer Krebserkrankung auf der Palliativstation der Bonner Uniklinik, Müller arbeitet dort als katholischer Seelsorger.
Wichtig sei, Gespräche nicht auf die Krankheit zu verengen, sondern Mut zu machen, erklärt er. Und so tauschen sich die beiden über das Lieblingsgebet der alten Dame aus, über ihre berufliche Laufbahn als Krankenschwester. "Auf Station bin ich aufgeblüht", sagt sie. Die Schwestern hier seien "so nett und herzlich", sie lache oft mit ihnen.
Seit gut zwei Wochen ist Nadler auf der Palliativstation. "Aber ich zähle die Tage nicht." Zwischen den Fingern dreht sie ihren Rosenkranz, auf dem Nachttisch liegen zwei Brillen, ein Mund-Nasen-Schutz, ein paar Kekse - und, besonders wichtig: ihre Madonnen-Figur und die kleinen goldenen Medaillen der "Rosa Mystica", die sie gerne an Besucher verschenkt. Es mache ihr Freude, wenn Menschen die Anhänger mitnehmen. Denn: "Ohne Madonna geht nix."
Menschen ernstnehmen
Nicht alle Patienten sind religiös. Dennoch spürten viele, "dass gerade am Beginn und am Ende des Lebens ahnbarer wird, was das Geheimnis des Lebens ausmacht", sagt Müller. Ob jemand einen Bezug zur Kirche habe, sei dabei in keiner Weise entscheidend. Ob es zu einer Begegnung mit dem Seelsorge-Team komme, entscheide jeder Patient selbst.
"Ich komme nicht mit einem fertigen Paket. Jeder ist ein individuelles Wesen mit einem großen Lebenshintergrund und einem Reichtum an Erlebnissen." Wer schwer erkranke, leide oft darunter, dass nur noch die Erkrankung gesehen werde, sagt der Seelsorger. "Unsere Aufgabe ist es, Menschen in dieser Situation ernst zu nehmen."
Sterbehilfe
Wenn dies gelinge, könne sogar der Wunsch nach Sterbehilfe zurücktreten, hat der Pfarrer erfahren. Auch Reifenberg berichtet, dass dieser Wunsch bislang nur ein einziges Mal an sie herangetragen wurde. Es sei ein komplexes und schwieriges Thema, sagen beide.
Möglichkeiten wie die palliative Sedierung oder das "Sterbenlassen" - also weiter zu pflegen, wenn jemand die Nahrungsaufnahme einstellt - gibt es bereits. Wenn eine gute Palliativversorgung vorhanden sei, "braucht es in der Regel keine aktive Sterbehilfe und auch keinen assistieren Suizid", so Reifenberg.
Wertschätzung auf allen Stationen
Verbesserungen wünscht sich Müller für andere medizinische Bereiche. "Der wertschätzende Umgang mit Menschen sollte auf allen Stationen umsetzbar sein." Angesichts von Personalknappheit und Privatisierungen von Kliniken verschiebe sich jedoch vieles "in eine ungute Richtung". Und Palliativschwester Reifenberg fügt hinzu, dass es Grenzfälle gebe, furchtbares Leid für Einzelne. "Da sehe ich mich nicht in der Position, das zu beurteilen."
Die Debatte rund um Sterbehilfe verlaufe in einer Gesellschaft, die ansonsten häufig die Augen vor Leid und Tod verschließt, oftmals hitzig, findet Reifenberg. Und es gebe viel Unsicherheit. So sagten immer wieder Patienten, dass sie keine Angst vor dem Tod hätten, aber vor dem Sterben. "Dabei ist Sterben etwas Natürliches. Man kann darauf vertrauen, dass der Körper weiß, wie es geht."
An den Tagen, an denen die Schmerzen besonders schlimm sind, ist Diana Sommer zum Verzweifeln zumute, sagt sie. Sie frage sich dann: "Warum werde ich durch diese Leiden geschickt? Was habe ich getan, dass ich so auf die Probe gestellt werde?" Trotz dieser Momente und trotz der Schmerzen könne sie jetzt aber nicht sterben, sagt Sommer. "Jetzt kommt doch der Frühling."