DOMRADIO.DE: Es gab am Freitag einen sehr dichten und viel beachteten Vortrag von Thomas Halik, dem anerkannten Religionsphilosophen und tschechischen Priester. Er hat von gleich zwei Pandemien gesprochen. Neben Corona noch von einer innerkirchlichen Pandemie, die Erschütterung der Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche durch sexuelle Gewalt. Wie haben Sie das erlebt?
Karin Kortmann (ehem. SPD-Bundestagsabgeordnete und Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken): Wir haben uns für Thomas Halik entschieden, um auch den Blick auf die osteuropäische Sichtweise zu richten. Und er hat uns zunächst ganz viel Mut zugesprochen. Das hat gutgetan. Er hat der deutschen Kirche gedankt, dass sie den synodalen Weg eingeleitet und den Mut zu Reformen gezeigt hat. Sagt aber gleichzeitig, wir brauchen jetzt nicht nur Mut, sondern wir brauchen Weisheit, wir brauchen Verantwortlichkeit und Ausdauer. Und wir brauchen eine tiefe Erneuerung von Theologie, Spiritualität und Pastoralpraxis. Er hat uns eigentlich ins Stammbuch geschrieben: Geht nicht nur an Strukturdebatten, sondern wendet euch dem Inhalt zu. Denn man muss sich tatsächlich fragen, was heißt heute eigentlich Kirche, wenn sich Kirchenräume leeren? Wo finden noch Menschen zueinander und wo können sie ihren Glauben gestalten? Und Glaube ist ja immer eine Wechselbeziehung von Menschen. Also bedarf es dieser Orte. Und er hat damit sehr nachdrücklich darauf hingewiesen, dass wir uns stärker auch den Bedürftigen zuwenden sollen, nicht nur in der reinen katholischen Kategorie. Wir wenden uns an Menschen, die auf der Suche nach Begleitung und Unterstützung sind. Was können wir da als Kirche anbieten? Und wir sollen bitte nicht nachlassen in diesem Engagement.
DOMRADIO.DE: Rund ums Thema "sexualisierte Gewalt" und gerade im Erzbistum Köln bleibt trotz zweier Gutachten dazu die Lage ziemlich angespannt. Das Vertrauen fehlt. Wie sehen Sie das gerade auch angesichts der aktuellen Stellungnahme des Kölner Diözesanenrates von gestern?
Kortmann: Alleine zu sagen, es gibt jetzt ein Gutachten, das veröffentlicht ist, löst nicht die Grundprobleme, warum das erste nicht veröffentlicht wurde, warum es zu Rücktritten von Menschen im Betroffenenbeirat kam… Wir brauchen einen neuen Grundkonsens zwischen Bistumsleitung, Laienorganisation, Gläubigen in den Gemeinden, Priestern, Menschen, die als Gemeinde- und Pastoralreferentin tätig sind. Da ist so viel zerbrochen worden. Das lässt sich nur heilen, wenn man tatsächlich mit einer Diözesan-Synode danach sucht und fragt: Was ist die Grundlage unseres Engagements, unseres Glaubens? Was verbindet uns? Und auf was können wir uns verlassen? Und wie gehen wir miteinander den Weg weiter? Also jetzt einfach so das Tischtuch drüber zu legen und zu sagen, alles, was da drunter jetzt noch ist, das lassen wir da mal liegen, hilft keinen Schritt weiter. Und der Diözesanrat macht ein großartiges Angebot und sagt, wir wollen weiter engagiert bleiben und sind dabei. Aber wir müssen in diesem Diskurs die Kommunikation neu beginnen. Ich hoffe, dass Kardinal Woelki diese ausgestreckte Hand zur Zusammenarbeit ergreift und diesen Weg auch mitgeht.
DOMRADIO.DE: Und wie erleben Sie die Stimmung unter den Teilnehmenden, zum Beispiel beim Thema "Synodaler Weg"? Wohin bewegt man sich auf dem Weg?
Kortmann: Die Ungeduld nach Ergebnissen wächst. Durch die Pandemie haben sich auch die Synodalversammlungen nach hinten verschoben, weil wir uns nicht wie vereinbart treffen können. Aber der Wunsch, wir müssen jetzt mal zu Ergebnissen kommen, hat sich ja ganz deutlich gezeigt an der Frage "Segnung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften". Da haben wir gemerkt, dass wir mit der Beschlusslage, die wir als ZdK schon dazu haben, eigentlich etwas angestoßen haben. Da hat sich ja jetzt durch die Note aus der vatikanischen Glaubenskongregation, nämlich dass alles beim Alten bleibt, eine Art christlicher ziviler Widerstand gezeigt hat, wenn Pfarrer die Regenbogenfahne an der Kirchturmspitze anbringen und deutlich sagen "wir zeigen Flagge, wir zeigen Farbe", dann müssen wir da auch jetzt recht schnell zum Handeln kommen und deutlich machen, wenn wir in Deutschland zu dieser Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren kommen, bricht die Weltkirche nicht zusammen. Aber wir bauen Brücken zu Menschen, die auch Ebenbild Gottes sind. Und mit welch einem Recht verweigere ich ihnen den Segen für ihr gemeinsames Leben?
DOMRADIO.DE: Dem Zentralkomitee kommt in schwierigen Zeiten auch noch sein Präsident Thomas Sternberg abhanden, der sich wie angekündigt planmäßig nicht mehr zur Wahl stellen will. Was bedeutet das für das ZdK?
Kortmann: Das bedauere ich nicht nur alleine, das bedauern wir alle. Thomas Sternberg hatte gesagt, dass er für sechs Jahre zur Verfügung steht, hat Großartiges in Bewegung gesetzt. Jetzt gilt es, für die Herbst-Vollversammlung im November zu schauen, wie sich das neue ZdK-Präsidium zusammensetzt. Kandidieren wieder einige aus dem jetzigen Präsidium oder werden wir insgesamt eine neue Zusammensetzung finden? Die Fußstapfen sind groß, was die Präsidentenrolle angeht. Wir werden jetzt kluge Beratungen und Gespräche führen und schauen, dass wir wieder eine hervorragende Spitze haben. Denn die Arbeit wird nicht weniger und die Aufmerksamkeit auf den Laienkatholizismus wollen wir weiterhin schärfen. Und dafür braucht man auch gute Personen.
DOMRADIO.DE: Ist es nicht aus Ihrer Sicht an der Zeit, dass beim ZdK wieder eine Frau das Steuer übernimmt? Stehen Sie zur Verfügung?
Kortmann: Wenn eine Frau dafür kandidiert, ist sie genauso gleichrangig zu sehen, als würde ein Mann kandidieren. Wir schauen einfach, wer es machen kann. Das ZdK hat eine sehr ambitionierte Aufgabe, die auf den oder die Präsidentin konzentriert ist. Und wir haben fast immer Persönlichkeiten gehabt, die auch mit einem großen Zeitkontingent zur Verfügung standen. Und es wird auch die Frage sein: Geht man eher auf Menschen zu, die sagen, "wir können uns das nebenberuflich einrichten"? Oder sagen wir, wir müssen dieses Amt auch nochmal anders definieren? Ich wäre für Letzteres, um auch jüngeren Menschen die Möglichkeit zu geben, in diesem Präsidium mitarbeiten zu können und wenn möglich, dann auch an einer herausgehobenen Position. Aber dafür sind die Gespräche erst mal noch nicht angelaufen. Wir haben nur im Präsidium darüber geredet und wir sollten jetzt erst mal die Beratungen im Hauptausschuss, in den Gremien des ZdK abwarten und dann durch eine Findungskommission auch schauen, dass es viele Menschen aus unseren Reihen oder auch darüber hinaus gibt, die sagen "dieser Spitze würde ich gerne vorstehen". Ich bin sicher, wir finden eine gute Nachfolge.
Das Interview führte Katharina Geiger.