Forscherin: Atheismus wird in arabischen Diskursen sichtbarer

"Einige waren Stimmen des politischen Islams"

In der arabischen Welt werden atheistische Stimmen nach Angaben der Religionswissenschaftlerin Samira Tabti allmählich lauter. Gründe dafür seien unter anderem Enttäuschung über nicht eingehaltene Versprechen des politischen Islams.

Autor/in:
Mey Dudin
Frau mit Kopftuch / © Harald Oppitz (KNA)
Frau mit Kopftuch / © Harald Oppitz ( KNA )

"Vor allem im Internet sind zunehmend Menschen sichtbar, die sich von Religion abgewendet haben", sagte Tabti dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das betreffe den Islam ebenso wie christliche Glaubensgemeinschaften. Diese Tendenz sei seit etwa zehn Jahren verstärkt im Netz zu beobachten, seit der Zeit um den sogenannten Arabischen Frühling. Insbesondere junge, politisch aktive Menschen mit akademischer Bildung bezeichneten sich selbst als Atheisten. Ein Atheist wird im Arabischen als Mulhid bezeichnet.

Tabti, die an der Ruhr-Universität Bochum zu islamkritischen Online-Diskursen in den arabischen Medien forscht, sagte, von einem Phänomen könne zwar noch nicht gesprochen werden, aber durchaus von einer Bewegung, die sich derzeit formiere. Während online bereits in den verschiedenen arabischen Dialekten sowie auf Hocharabisch über Atheismus diskutiert werde, gebe es offline nur wenige Aktionen dazu.

Strafen drohen in manchen Ländern

"Für die, die ihr Gesicht zeigen und ihren Namen nennen, kann es in manchen Ländern gefährlich werden", erklärte die Wissenschaftlerin. So drohten mancherorts die Zwangsscheidung, Gefängnis, in Saudi-Arabien sogar die Todesstrafe. "Aktivistinnen und Aktivisten werden häufig als die fünfte Kolonne (Arabisch: Al-Tabur al-Chamis) des Westens diffamiert", sagte Tabti. Um sich zu schützen, nutzten viele Pseudonyme oder falsche Web-Profile.

Im Fastenmonat Ramadan würden in arabischen Ländern die Restriktionen der individuellen Freiheit all jener, die nicht fasteten, besonders deutlich. Tabti wies darauf hin, dass dann zum Beispiel in Marokko tagsüber das öffentliche Fastenbrechen untersagt sei: "Dort kann es auch als provozierend empfunden werden, wenn jemand bei Tageslicht in der Öffentlichkeit isst."

Enttäuschung und IS-Gräueltaten

Die Gründe, warum junge Menschen sich dafür entscheiden, nicht mehr religiös zu sein, seien indes vielfältig. "Ich beobachte momentan, dass mehr und mehr Frauen das Kopftuch wieder ablegen", sagte sie. "Einige von ihnen gehörten vor wenigen Jahren noch zu den Stimmen des politischen Islams."

Hier könne Enttäuschung ein Grund sein darüber, dass der politische Islam seine Versprechen nicht habe halten können. Auch die Gräueltaten der Extremisten des "Islamischen Staates" hätten bei einigen sicherlich zur Abkehr vom muslimischen Glauben geführt.

Gleichstellung von Frauen

Unter nordafrikanischen Berbern wiederum gebe es ebenfalls solche Tendenzen, weil der Islam "als importierte, arabische Religion betrachtet wird". In Ägypten werde die vorislamische pharaonische Kultur aktuell besonders stark hochgelobt, im Libanon suchten einige nach einer nicht-arabischen Identität bei den alten Phöniziern.

"Manche Diskussionen sind regelrecht islamfeindlich, andere aber handeln eher vor der Vision eines säkularen Staates, von persönlicher Freiheit und Feminismus", sagte die Wissenschaftlerin. "Gerade die Gleichstellung von Frauen etwa beim Erbrecht ist ein wichtiges Thema." Rein theologische Fragen, wie die explizite Verneinung der Existenz Gottes, ließen viele Atheistinnen und Atheisten dabei meist außen vor.


Quelle:
epd