DOMRADIO.DE: Warum liegen die US-Bischöfe und Biden in der Abtreibungsfrage so weit auseinander?
Prof. Dr. Godehard Brüntrup SJ (Jesuit, Philosoph und US-Experte): Sie liegen so weit auseinander, weil die Positionen in der Politik, in der amerikanischen Gesellschaft, so weit auseinanderliegen. Die Demokraten, also die liberale linksgerichtete Partei von Präsident Biden, propagiert eigentlich eine völlige Öffnung der Abtreibung bis zum neunten Monat. Die einzige Grenze ist, dass die Gesundheit der Mutter beeinträchtigt sei. Aber was das sei, wird nicht definiert. Wenn die Mutter sagt, dass sie psychologischen Stress hat, wegen der Schwangerschaft, dann reicht das auch im achten oder sogar noch im neunten Monat eine Abtreibung durchzuführen. Und gegen diese extreme Auffassung wenden sich die Bischöfe.
DOMRADIO.DE: In den USA ist diese Frage nach Abtreibung sehr, sehr politisch aufgeladen. Inwiefern machen denn religiöse Menschen davon dann sogar ihre Wahlentscheidung abhängig, nämlich ob sie für die Republikaner oder die Demokraten stimmen?
Brüntrup: Das, würde ich sagen, teilt in etwa die Katholiken. Etwa die Hälfte der Katholiken hat gegen Joe Biden abgestimmt, und das war hauptsächlich durch solche Fragen wie etwa Abtreibungen oder auch Finanzierung von Institutionen, die Abtreibungen im Ausland durchführen. Von solchen Fragen war das abhängig, dass sie sich gegen Biden entschieden haben.
DOMRADIO.DE: Biden gilt nicht als Befürworter der Abtreibung. Was steckt hinter seiner Haltung?
Brüntrup: Er sagt, er ist privat dagegen. Aber in seiner Politik ist er entschieden dafür. Er setzt politisch eine sehr liberale Abtreibungspolitik durch. Er hat auch die Einschränkungen der Finanzierung von Organisationen im Ausland, die Abtreibungen durchführen, die vorher eingeführt worden sind, wieder aufgehoben. Er macht also eine ganz klare "Pro-Choice-Politik", dass die Frauen entscheiden und dass der Abtreibung keine Grenzen gesetzt wird. Einige Bischöfe gehen so weit, dass sie jetzt Joe Biden deshalb die Kommunion verweigern wollen. Andere sagen, dass sie ein Sakrament nicht zu einer politischen Waffe machen wollen.
DOMRADIO.DE: Es klingt ja tatsächlich erst mal unüblich, dass Bischöfe derart in die Politik eingreifen, dass sie darüber abstimmen, ob der US-Präsident künftig noch die Kommunion erhalten darf. Warum greifen die Bischöfe jetzt zu so einem Mittel?
Brüntrup: Ich glaube, weil der Kulturkampf in den USA nicht nur um die Abtreibungsfrage geht, auch Stammzellen und andere Fragestellungen im Bereich der Genderfrage, dass der Kulturkampf viel ausgeprägter ist als bei uns. In Deutschland gibt es eine Mitte, die irgendwie eine Aussöhnung sucht zwischen den Extremen, sowohl in der Kirche wie auch in der Gesellschaft, viel stärker als in den USA. Das ist Ausdruck eines Kulturkampfes um die Zukunft des Landes.
DOMRADIO.DE: In der amerikanischen Gesellschaft hat es gegenüber katholischen Präsidenten und Präsidentschaftskandidaten immer Vorbehalte gegeben. Die Befürchtung, die Verbundenheit mit Rom, dem Vatikan, dem Papst, die könnte dem Amt und seiner Loyalität gegenüber den Amerikanern schaden. Schürt das Vorgehen der amerikanischen Bischöfe nicht weiter so ein Misstrauen?
Brüntrup: Ich würde sagen ja. Ich würde persönlich auch sagen, dass die Bischofskonferenz nicht abstimmen soll dafür, dass man Joe Biden die Kommunion verweigert. Ich glaube auch nicht, dass dafür eine Mehrheit zu bekommen ist. Ich habe ihm übrigens selber die Kommunion schon gegeben und stehe dazu. Ich denke, man sollte das Sakrament nicht zu einer politischen Waffe machen. Die Frage der Abtreibung bleibt trotzdem bestehen, aber sie sollte nicht über einen solchen Druck, über das Sakrament geführt werden. Das hätte auch die negativen Konsequenzen, dass man das Gefühl hat, in Amerika, dass von Rom her in die amerikanische Politik über den Präsidenten und seinen Glauben Einfluss genommen würde. Und das wäre alles andere als gut.
Das Interview führte Hilde Regeniter.