DOMRADIO.DE: Wenn Gaffer mit ihren Smartphones einen Rettungswagen fotografieren oder filmen, sollen sie in Zukunft sofort eine Nachricht auf ihr Handy bekommen. Wie müssen wir uns das genau vorstellen?
Jörg Lüssem (Mitglied des Bundesvorstands der Johanniter-Unfall-Hilfe): Eine Kreativagentur, mit der wir schon lange zusammenarbeiten, hat diese Idee gehabt. Über die vielfältigen Dialoge, was uns bei der Arbeit beeinträchtigt und was nicht, oder was uns beschäftigt, sind die kreativen Köpfe mit uns zusammen auf diese Idee gekommen und haben sie auch sehr schnell umgesetzt in Form dieses QR-Codes.
Die Handykamera erfasst den QR-Code, der auf einem Rettungswagen am Heck, der Seitentür oder auch auf Rettungsdienst-Equipment aufgebracht wird. Dann erscheint der Hinweis: "Wollen Sie den Link öffnen?" Wenn der Link geöffnet wird, erscheint die Botschaft "Gaffen tötet!".
DOMRADIO.DE: Hält so eine Nachricht die Gaffer dann wirklich ab oder ignorieren das manche auch und machen vielleicht den Link erst gar nicht auf?
Lüssem: Naja, das wissen wir noch nicht. Wir betreiben ja auch eine Hochschule, die das Projekt wissenschaftlich begleiten wird. Wir starten ja zunächst mal ein Pilotprojekt in Berlin, weil das relativ unproblematisch ist, dort unsere Rettungswagen mit diesem QR-Code zu versehen. Das sind erst einmal sechs Stück und zusätzlich noch intensiv Transportfahrzeuge. Damit werden wir erste Erfahrungen sammeln.
Die Praktiker finden die Idee genial. Ich denke, dass wir in einigen Wochen oder wenigen Monaten tatsächlich auch Näheres dazu berichten können, wie es funktioniert. Wir bekommen aber jetzt schon durch die Vorankündigung Reaktionen aus unserer Organisation und auch bundesweit. Selbst aus Österreich gab es schon Nachfragen.
DOMRADIO.DE: Es ist ja ein Appell an das schlechte Gewissen.
Lüssem: Ja, so ist es in der Tat. Das ist der erhobene Zeigefinger der Organisation, damit sagen wir: Das geht so nicht weiter. Es wurde viel über Persönlichkeitsrechte bei Bild- und Tonaufnahmen gesprochen. Das sollte erst recht in einer solch prekären Situation gelten. Das Gaffen hat in den letzten Jahren massiv zugenommen, sodass es zu echten Behinderungen kommt. Deshalb jetzt auch dieser drastische Slogan "Gaffen tötet!".
DOMRADIO.DE: Wenn Sie jetzt feststellen, das funktioniert und schreckt die Leute wirklich ab. Ab wann könnten Sie denn so durch ganz Deutschland fahren?
Lüssem: Das hängt von den Landesgesetzen ab, was zulässig ist bei Fahrzeugbeschriftungen und was nicht. Wir würden uns natürlich wünschen, dass es erst mal Erfolg hat und dann auch möglichst viel adaptiert wird. Also nicht nur Johanniter weit. Wir sind ja auch nur Beteiligte am Rettungsdienst in den jeweiligen Bundesländern.
Es gibt auch andere Hilfsorganisationen und Feuerwehren. Die Frage ist ja: Inwieweit macht dieses "Modellprojekt" dann tatsächlich Schule? In den Tests, die wir gemacht haben, auch zu dem Film, hat das sehr gut funktioniert. Unsere Rettungsdienst-Leute, die sonst immer eher kritisch sind, waren von der ersten Sekunde an begeistert und sagen: Jawohl, das wird funktionieren.
DOMRADIO.DE: Seit Anfang dieses Jahres können Gaffer mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden. Wie schätzen Sie das ein? Reicht das oder sehen Sie da noch Handlungsbedarf?
Lüssem: Die Regelung ist noch nicht so lange in Kraft und man muss gucken, wie sich die Strafverfolgung durchsetzen lässt. Das ist ein Problem, das wir sehen. Wir gehören nicht zu den Strafverfolgungsbehörden - zum einen. Zum anderen haben natürlich die Einsatzkräfte und die Polizei erst einmal am Unfallort alle Hände voll zu tun und wenig Möglichkeiten und Ressourcen, Gaffer zur Verantwortung zu ziehen.
Uns sind Fälle bekannt, bei denen es zu erheblicher Einsatzbeeinträchtigungen kam, weil Menschen filmend im Weg standen, den Weg versperrt haben, teilweise Rettungsgasse zugeparkt haben, um dann zu filmen und das Fahrzeug verlassen hatten. Das sind Fälle, die geahndet werden, ob das reicht oder nicht reicht, das weiß ich nicht. Ich bin kein Jurist. Das wird vielleicht die Zeit erweisen.
Das Interview führte Hilde Regeniter.