Psychiater kritisiert Erlaubnis ärztlicher Hilfe bei Suizid

"Dafür bin ich nicht zu haben"

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf selbstbestimmtes Sterben, hat der Bundesärztetag beschlossen, dass Ärzte bei einem Suizid assistieren dürfen. Nach Ansicht des Psychiaters Karl Beine könnte das den Druck auf Ärzte erhöhen. 

Autor/in:
Tobias Fricke
Tabletten in der Hand / © Sayan Puangkham (shutterstock)
Tabletten in der Hand / © Sayan Puangkham ( shutterstock )

Eine Giftkapsel, die die Ärztin dem Sterbewilligen auf den Tisch legt, die der Patient selber zum Mund führt und selber schluckt. Das ist ein Beispiel für assistierten Suizid. Im Vorfeld muss klar sein, dass der Wunsch zum Sterben dauerhaft besteht, dass der Wunsch mehrfach überprüft wurde und dem freien und autonom gebildeten Willen des Patienten entspricht. Aber dann bleibt es straffrei, beim Sterben zu assistieren; jedem zu assistieren. Denn das Bundesverfassungsgericht schränkt den Personenkreis nicht ein, was Professor Karl Beine deutlich kritisiert.

Der emeritierte Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie an der Uni Witten-Herdecke war vor seinem Ruhestand der Chefarzt am katholischen Marien-Hospital Hamm und empfindet es als dramatisch, dass das Bundesverfassungsgericht den assistierten Suizid nicht an Lebenssituationen, an Erkrankungen, an äußere oder innere Umstände gekoppelt hat: "Das Gericht hat in meinen Augen lapidar festgestellt, dass der Wille zwar immer kulturell geprägt und 'relational' sei, aber grundsätzlich 'frei'".

Zahl der Selbstmorde halbiert

Professor Beine empfindet das Urteil fast als Affront gegen die jahrzehntelange Suizidprävention, die Aufklärungsarbeit, mit der die Zahlen der Selbstmorde in Deutschland halbiert werden konnte. Während sich vor 30 Jahren noch knapp 20.000 Menschen jährlich das Leben nahmen, sind es heute unter 10.000. Dies zeige nach Ansicht des Psychiaters, wie beeinflussbar – in beide Richtungen – Menschen mit Selbsttötungsabsichten seien. Häufig komme der Todeswunsch während schwieriger Lebensphasen, während Depressionen. Aber diese Phasen könnten viele Patienten überwinden.

Die Selbstbestimmung, die Autonomie des Menschen sei deswegen in der Frage des selbstbestimmten Sterbens wenig hilfreich. Theologisch gesprochen sei die Autonomie "der neue Gott, der selbst richtet über das Leben". Ärztinnen und Ärzte müssten sehr genau aufpassen, dass sie "nicht in der Polarität von Lebensschutz und Selbstbestimmung eine Schieflage erreichen, die dazu führt, dass der assistierte Suizid in einem ersten Schritt und die Tötung auf Verlangen in einem zweiten Schritt zu selbstverständlichen, häufigen Todesursachen in diesem Land werden".

Druck auf Ärzte wird größer

Mit dem Signal aus Karlsruhe, dem im Grundgesetz verankerten Recht auf selbstbestimmtes Sterben und Suizid-Assistenz, stellte sich bis jetzt immer noch die Frage nach der Rolle der Ärztinnen und Ärzte. Denn auch ein Jahr nach dem höchsten Gerichtsurteil hieß es in der Muster-Berufsordnung der Bundesärztekammer, Ärzte dürften keine Hilfe zur Selbsttötung leisten. Diesen Satz hat nun die Ärztekammer gestrichen.

Damit ergibt sich aus Sicht von Professor Beine für die Mediziner ein erhöhter Druck, dem Todeswunsch des Patienten zu entsprechen und die Giftkapsel bereitzulegen. Dieser Druck gehe auch auf solche Ärzte über, die den assistierten Suizid eigentlich ablehnen, etwa aus christlicher Überzeugung.

Nun sei entscheidend, wie sich Ärztinnen und Ärzte jetzt aufstellten, wie auch der Ärztetag und die Ärztekammern. Nach Auffassung Beines "kann es auf der einen Seite nicht sein, dass wir sagen "das ist auf keinen Fall unsere Aufgabe, das tun wir niemals', sondern es ist auf der anderen Seite unsere Aufgabe, im Einzelfall zu entscheiden, wie wir mit solchen schweren Entscheidungen umgehen."

Verschiebt sich der rechtliche Rahmen in Richtung "Tötung auf Verlangen"?

Besonders schwer ist die Entscheidung, so der ehemalige Chefarzt, wenn zum Beispiel ein Querschnittsgelähmter die Giftkapsel gar nicht selber nehmen und zum Mund führen kann, aber unbedingt sterben möchte. Würde er ihm als Arzt die Kapsel in den Mund legen, wäre das schon ein rechtlicher Graubereich. Und ist das Schlucken dann selbstbestimmt? Ein Richter müsste darüber im Vorfeld befinden, aber das Urteil sieht Professor Beine vorher: "Ich prognostiziere Ihnen kühn, dass bei der Ausrichtung dieser höchst richterlichen Rechtsprechung, wie das Verfassungsgericht das im Februar 2020 gesehen hat, dabei herauskommen wird, dass das ein Akt der freien Selbstbestimmung ist".

Es besteht also zunehmend die Gefahr, dass sich der gesetzliche Rahmen von assistiertem Suizid sukzessive zum Töten auf Verlangen verschiebe, befürchtet Karl Beine.

Als Psychiater, berichtet er, ist er schon häufig gebeten worden, jemandes Leben zu beenden. Immer hat er es abgelehnt, weil, so sagt er, es ihm nicht zusteht, darüber zu urteilen, ob das Leben des anderen einen Wert hat oder nicht. Seine Kernaufgabe als Arzt sei es, suizidale Menschen zu begleiten und er empfinde das auch als eine tief erfüllende Aufgabe, nicht zu urteilen, nicht zu bewerten.

Und natürlich könne es nicht sein, jemanden für einen Suizidversuch zu verurteilen. "Aber es kann auch nicht sein, dass ich hingehe und mich als medizinisch legitimierter 'Beihelfer' zum Töten begreife. Das ist was, wofür ich überhaupt nicht und unter gar keinen Umständen zu haben bin."


Prof. Karl Beine / © Henrik Wiemer (WA)
Prof. Karl Beine / © Henrik Wiemer ( WA )
Quelle:
DR
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