Suleika Jaouad erhielt vor knapp zehn Jahren einen Brief, der sie berührte. Damals rang sie mit einer Leukämie-Erkrankung, die ihr Leben mit 23 Jahren zu beenden drohte. Der Absender wartete selber auf dem Tod in der Zelle eines texanischen Gefängnisses. Sie habe sein Herz berührt, schrieb Quintin Jones der jungen Frau, die sich mit "Quin" anfreundete.
Eine ungewöhnliche Freundschaft
Suleika dokumentierte die ungewöhnliche Freundschaft mit dem schwarzen Todeskandidaten in dem Buch "Between Two Kingdoms" (dt. Zwischen zwei Reichen). Womit sie die Schnittmenge einer Existenz zwischen Leben und Tod meint, die sie mit dem verurteilten Mörder teilt.
Der damals 20 Jahre alte Jones brachte 1999 seine mehr als viermal so alte Großtante Berthena Bryant um. Es ging um 30 Dollar, Geld, das der Junkie für seine Drogensucht brauchte. Er tötete sie mit einem Baseballschläger. Ein Gericht verurteilte ihn zur ultimativen Strafe, die nach mehr als zwei Jahrzehnten nun am 19. Mai in Fort Worth vollstreckt werden soll.
Suleika und viele andere Unterstützer versuchen das zu verhindern. Quin habe sich in vielen Briefen vor allem nach ihrer Behandlung erkundigt, erinnert sie sich. Obwohl er mit Armut, Gewalt, Missbrauch und Sucht aufgewachsen sei, habe ihr Freund nie diese Umstände für seine Tat verantwortlich gemacht. Im Gegenteil: in seiner krakeligen Schrift drückte er tiefe Reue aus. Quin habe Gnade verdient, schreibt Jaouad in einer bewegenden Geschichte in der "Times".
Familie der Ermordeten gegen Hinrichtung
Unterstützt wird sie von der Familie der Ermordeten, die gegen Quins Hinrichtung ist. Sein Tod werde Berthena nicht zurückbringen, sondern nur neues Leid schaffen. So sehen das auch mehrere zehntausend Unterstützer Quins, die in einem Appell an den texanischen Gouverneur Greg Abbott betonen, dass der vor mehr als zwei Jahrzehnten verurteilte Mörder heute nicht mehr derselbe Mensch sei. Er habe sich zu einem mitfühlenden und nachdenklichen Menschen gewandelt.
Es ist eine "Erfolgsgeschichte im Gefängnis", schreibt seine Brieffreundin Suleika. Durch Gebet, Abstinenz, Versöhnung mit seiner Familie und weltweiten Brieffreundschaften habe er "einen Weg gefunden, ein sinnvolles Leben zu führen und sogar das Leben anderer zu verbessern".
Darf der Staat die ernste Reue eines Täters und Vergebung durch die Angehörigen seines Opfers nach so langer Zeit ignorieren, fragen sich die Gegner der geplanten Hinrichtung.
Bischöfe gegen die Todesstrafe
Rund ein Dutzend Mal haben die katholischen US-Bischöfe einzeln, in Gruppen oder als gesamte US-Bischofskonferenz in den letzten beiden Jahren die Abschaffung der Todesstrafe gefordert oder sogar vor Gericht versucht, geplante Hinrichtungen zu stoppen. Nicht ohne Erfolg - in den 29 Staaten, in denen die Todesstrafe noch erlaubt ist, wird sie in der Praxis nicht mehr ausgeführt. Verglichen mit den 1990er-Jahren gibt es 85 Prozent weniger Todesurteile und 75 Prozent weniger Hinrichtungen.
Das hat auch mit einer Einstellungsänderung in der Bevölkerung zu tun. Das Meinungsforschung-Institut Gallup fand kürzlich heraus, dass rund 60 Prozent der Amerikaner Schwerverbrecher lieber lebenslang ohne Bewährung wegschließen als hinrichten wollen. Noch vor wenigen Jahren wollten das nur 45 Prozent.
Weiterhin Hinrichtungen
Angesichts dieses Trends fällt aus dem Rahmen, dass der Bundesstaat South Carolina in diesem Monat als Alternative zur Giftspritze wieder Erschießungskommandos und den elektrischen Stuhl als Hinrichtungsoptionen erlaubte.
Nach wie vor führt Texas die Liste der US-Staaten an, in denen die Höchststrafe vollstreckt wird. Neun von 22 Hinrichtungen vollstreckten dort Justizbeamte im Jahr 2019, sogar eine von zwei mitten in der Pandemie 2020. Und ausgerechnet hier wartet Quin auf sein Schicksal.
Im April erhielt Suleika Post von ihrem Freund. Zum ersten Mal in all den Jahren ihrer Korrespondenz bekannte er, dass es ihm nicht gut gehe. "Aber fühl dich geehrt", schrieb er zu seinen Gefühlen über seine Angst vor der anstehenden Hinrichtung. "Du bist die erste Person, mit der ich diese Wirklichkeit geteilt habe!" Darunter setzte er einen Smiley.