DOMRADIO.DE: Sie haben auch in der Corona-Zeit Menschen spirituell begleitet. Was macht denn Corona mit uns in dieser Hinsicht?
Markus Roentgen (Geistlicher Begleiter im Erzbistum Köln): Die Menschen, die zur Begleitung kommen, suchen etwas verstörter nach Gott und nach ihrer Spiritualität, aber nicht weniger. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dies poröser, offener und manchmal tiefer geworden ist. Und ich fand beeindruckend, wenn dann Menschen durch diese Zeit hindurch nochmal neu zu ihrem innersten Kern finden, wo sie sagen: "Ich kann dennoch vertrauen". Das ist besonders kostbar.
DOMRADIO.DE: Führt Corona dazu, dass wir uns Gott mehr zuwenden oder zweifeln Zweifler mehr als sonst?
Roentgen: Ich würde sagen beides. Es gibt Leute, für die ist das Thema irgendwie erledigt und es gibt andere, für die ist das jetzt nochmal viel intensiver. Die sagen: "Ich möchte aus dem Alltagsstrudel ein Stück weit raus und nochmal tiefer wahrnehmen, wer bin ich denn? Was ist der Kern meiner Existenz?" Jetzt kommen zu mir eher Leute ins Gespräch, die ein Interesse daran haben, wirklich spirituell nach Formen und Inhalten zu suchen, die tragfähig sind. Das ist eigentlich so etwas wie eine existentielle Form der Gottsuche.
DOMRADIO.DE: Den Satz "bleiben Sie gesund", hören wir überall täglich. Das ist für viele gar nicht so hilfreich. Warum?
Roentgen: Erst einmal gibt es viele Menschen, die nicht gesund sind, unabhängig von Corona. Die werden damit schon mal vor den Kopf gestoßen. Es gibt chronisch Erkrankte und es gibt Leute, die mit Handicaps umgehen müssen. Das Zweite ist: Wenn dieses Mantra zu einer Art goldenem Kalb wird, ich sage mal Gottesersatz - dass Gesundheit quasi die neue Religion ist - muss man sehr aufpassen, ob dieser Satz hilfreich ist. Der wird so heruntergebetet und ist scheinbar das einzige Kriterium von vielen Leuten und auch in der maßgeblichen Politik, um bloß bald wieder genauso zu leben wie vorher.
Wie können wir durch die Erfahrung mit der Pandemie unsere Lebensstile verändern, dass wir nicht mehr nur darauf warten, wann wir das nächste Mal für eine Woche ans Mittelmeer fliegen können, sondern ein Stück weit neu gucken: Wie können wir mit diesem Globus und mit den Herausforderungen kompetenter umgehen?
DOMRADIO.DE: Heute auf dem Podium des Ökumenischen Kirchentages war ein Thema "die Corona-Pandemie als spirituelle Herausforderung". War das ein fruchtbares Gespräch?
Roentgen: Ja, es wurde eine Stunde mit fünf Kolleginnen und Kollegen diskutiert. Da war die ganze Vielschichtigkeit. Und das Tolle war, obwohl wir uns als Gruppe ein ganzes Jahr lang in der Vorbereitung auf den Ökumenischen Kirchentag nie real gesehen haben, sind wir intensiv zusammengewachsen. Es war ein großes Vertrauen da, ein hörendes Miteinander in diese Vielschichtigkeit, was die anderen hineingebracht haben.
Wir hatten eine Kollegin da, die sich vor allen Dingen mit queeren Menschen auseinander setzt. Wir hatten das Thema Tanz, das Thema Bibel und natürlich auch nochmal die Frage, ist denn Gott eher eine Größe, die uns in Dualismen bringt, oder ist Gott die integrale Identität und die integrale Kraft im ganzen Universum, wo wir eingeladen sind, uns einzubringen und mitzuwirken?
Das Interview führte Tommy Millhome.