Brennende Israelfahnen, Hassparolen vor Synagogen, Übergriffe auf Kippaträger - das Phänomen des muslimischen Antisemitismus ist auch in Deutschland zu einer Begleiterscheinung des Nahostkonflikts geworden. Oft wird die Feindschaft religiös unterfüttert, aber lässt sich das begründen?
Das Judentum war zu Lebzeiten Mohammeds auf der Arabischen Halbinsel weit verbreitet und begleitet den Islam von seinen Anfängen an. Momente der Unterdrückung von Juden gab es in islamischen Staaten zwar immer wieder. Doch bis ins 20. Jahrhundert war das friedliche Verhältnis zwischen beiden Religionen eher die Regel als die Ausnahme.
Ambivalente Aussagen des Korans
Der Koran zeichnet auf den ersten Blick ein widersprüchliches Bild von den Juden. Einerseits erkennt er sie als "Schriftbesitzer" an, die göttliche Rechtleitung erfahren haben und den einen Gott anbeten.
Die "Kinder Israels", ihr Stammvater Abraham, Moses und andere Propheten des Judentums kommen in vielen Suren vor. Andererseits beschuldigt der Koran die Juden, ihre Thora verfälscht zu haben.
Berüchtigt sind die Verse, nach denen Allah sie in "Affen und Schweine" verwandelt, weil sie den Sabbat nicht geheiligt haben.
Auch den Bericht über ein von Mohammed angeordnetes Massaker am jüdischen Stamm Banu Quraiza im Jahr 627 in Medina zur Strafe für ihren Verrat nutzen radikalislamische Hardliner heute gern für antijüdische Schmähungen.
Nicht "das" Judentum, sondern einzelne Gruppen
Der islamische Theologe Mouhanad Khorchide und andere Reformdenker bezweifeln die Authentizität dieses Berichts, der erst rund 200 Jahre nach dem Tod des Propheten entstand.
Negative Aussagen im Koran beziehen sich aus Sicht Khorchides auch nicht auf das gesamte Judentum, sondern nur auf einzelne Gruppen, die Mohammed in Medina das Leben schwer machten.
Theologisch jedenfalls stehen Muslime den Juden näher als den Christen. Beide vertreten einen strengen Monotheismus und folgen einer Gesetzesreligion. Rituale wie die Beschneidung bei Jungen und das Verbot von Schweinefleisch haben sie gemeinsam und kennen auch keinen organisierten Klerus.
Der jüdische Arzt und Theologe Maimonides (gest. 1237) nannte den Islam sogar "die Religion, die unser System angenommen hat".
Juden in islamischen Gesellschaften
In islamischen Gesellschaften galten Juden wie Christen als "dhimmis", Schutzbefohlene, die ihre Religion zwar ausüben durften, aber Bürger zweiter Klasse waren. Der gelbe Fleck zur Kennzeichnung jüdischer Bewohner ist eine islamische Erfindung.
Trotzdem ging es Juden unter muslimischer Herrschaft jahrhundertelang weit besser als ihren Glaubensbrüdern in Europa. Handwerksberufe waren ihnen im Orient nicht verboten, jüdische Gelehrte hatten regen Anteil an der Blüte der islamischen Hochkultur im Mittelalter.
Das Osmanische Reich wurde zum sicheren Hafen für Juden aus christlichen Staaten, seitdem Sultan Bayezid II. (1481-1512) das verfolgte Judentum der iberischen Halbinsel eingeladen hatte. Teilweise gewannen sie als Finanzexperten und Ärzte Einfluss am türkischen Hof.
Der Islam kennt keinen rassistischen Antisemitismus
Auch wenn die Diskriminierung von Juden je nach Ort an der Tagesordnung blieb, ist dem Islam ein rassischer Antisemitismus fremd. Der kollektive Hass wuchs erst im Zeitalter der zionistischen Bewegung und verstärkten jüdischen Einwanderung nach Palästina.
Die Gründung Israels mitten im islamischen Kulturraum, die Vertreibung der Palästinenser und die militärischen Niederlagen gegen den jüdischen Staat wurden zu einem Trauma für die muslimische Welt, das nicht vergeht.
Juden von Nordafrika bis Iran zahlten dafür, indem sie ihre Länder freiwillig oder unter Zwang in Richtung Israel verließen.
Der Nahostkonflikt lässt alte Vorurteile aufflammen
Erst im Zuge des schier endlosen Nahostkonflikts sickerten auch klassische antisemitische Stereotype, die ursprünglich aus Europa stammen, in die öffentliche Meinung islamischer Länder ein, etwa dass Juden mit ihrer Finanz- und Medienmacht die finsteren Lenker der Weltpolitik sind.
Heute werden solche Hülsen von islamistischen Organisationen wie den Muslimbrüdern eifrig verbreitet. Und nicht selten auch von hochrangigen Politikern und Staatschefs in der islamischen Welt.
Der türkische Präsident Recep Tayyeb Erdogan höchstpersönlich schimpfte in einer Rede 2017 auf den "internationalen Juden", der im Hintergrund die Strippen ziehe und "sein Spiel" mit dem Nahen Osten spiele.