"Ceuta zeigt, wie nah Afrika an Europa liegt. Nur durch hohe Zäune sind die Probleme nicht gelöst": Für Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sind die Bilder aus der spanischen Nordafrika-Exklave ein weiterer Beleg für den Druck, den die weltweite soziale Ungleichheit ausübt.
Seit 15 Jahren verhandle Marokko vergeblich mit der EU über einen Marktzugang, auch um der Jugend eine Perspektive zu bieten, beklagt der Minister.
Kommission legt Empfehlungen vor
Vor 2015 hatte er von der EU mehr Mittel für die Flüchtlingscamps in Syrien verlangt - ebenfalls vergeblich.
Mehr als 150 Träger des Bundesverdienstkreuzes forderten seinerzeit eine unabhängige Expertenkommission zu Fluchtursachen, die die Bundesregierung später einsetzte. Sie legte am Dienstag in Berlin ihre Empfehlungen vor.
Die Hauptgründe sind bekannt
Die 24 Mitglieder aus Wissenschaft, NGOs, Wirtschaft und internationalen Organisationen sollten die wesentlichen Ursachen von Flucht und irregulärer Migration benennen und Handlungsvorschläge entwickeln. Zu den Grundeinsichten gehört für die Kommissionsvorsitzende und ehemalige Präsidentin der Welthungerhilfe Bärbel Dieckmann: "Die riesige Mehrheit der Menschen will ihre Heimat nicht verlassen".
Hauptgründe für Flucht seien bewaffnete Konflikte wie in Syrien, dem Sudan, Afghanistan oder Venezuela, soziale Ungleichheit, die Bevölkerungsentwicklung, Perspektivlosigkeit und immer häufiger der Klimawandel, der Mangel an Trinkwasser oder Boden.
Zahl der Geflüchteten verdoppelt
Die Zahl der Geflüchteten hat sich laut UN in den vergangenen zehn Jahren von 40 auf 80 Millionen verdoppelt. Über 85 Prozent der Betroffenen finden Aufnahme in sogenannten Entwicklungsländern. Die Weltbank geht davon aus, dass sich die Zahl der Klimaflüchtlinge in den kommenden Jahren von 25 auf 150 Millionen Menschen erhöhen wird.
So mahnt auch der Caritasverband: "Wenn es uns nicht gelingt, die Erderwärmung zu begrenzen, wird die Klimakatastrophe zu einem noch gewaltigeren Multiplikator für Flucht und Vertreibung werden".
Die strukturellen Ursachen sind das Problem
Die Ergebnisse der Kommission scheinen auf den ersten Blick nicht neu. So empfehlen die Sachverständigen, für eine höhere "physische, ökonomische, soziale und politische Sicherheit der Menschen in ihren Herkunftsländern" zu sorgen.
"Solange strukturelle Ursachen wie soziale Ungleichheit, fehlende Einkommensmöglichkeiten und soziale Sicherung, politische Verfolgung und bewaffnete Konflikte bestimmend sind, werden Menschen sich auf den Weg machen", mahnt Dieckmann.
Die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes und zweite Kommissionsvorsitzende, Gerda Hasselfeldt, spricht von einer "Daueraufgabe" bei der Milderung von Fluchtursachen.
Neue Erkenntnisse
Neu ist für Hasselfeldt aber der umfassende Blick auf die Fluchtursachen und ihre Bekämpfung. Daraus folgt die Forderung nach einem ressortübergreifenden Vorgehen. Die Expertise schlägt etwa einen Rat für Frieden, Sicherheit und Entwicklung vor, dem unterschiedliche Ministerien angehören sollen.
Außenminister Heiko Maas (SPD) verweist auf "Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge" und Müller auf das geplante Gesetz für unternehmerische Sorgfaltspflichten bei ausländischen Zulieferern.
Der Klimaschutz spielt auch eine Rolle
Zu den Empfehlungen der Kommission gehören auch der Aufbau sozialer Sicherungssysteme, die Stärkung von Institutionen und guter Regierungsführung sowie die gezielte Förderung von Klimaschutz. Das Gremium fordert zudem mehr Aufmerksamkeit für Binnenvertriebene und die Unterstützung von Aufnahmeländern.
Hier sieht auch die Caritas eine Priorität. Ferner spricht sich der Rat für eine Allianz mit anderen Staaten zur dauerhaften Übernahme von Flüchtlinge aus, dem sogenannten Resettlement. Das gelte besonders für die Aufnahme von Frauen, Kindern und Opfern sexualisierter Gewalt.
Handeln, bevor Menschen ihr Leben riskieren
Der Bundesverband entwicklungspolitischer und humanitärer Nichtregierungsorganisationen (Venro) sieht in den Empfehlungen eine gute Grundlage, um das Schicksal von Millionen Geflüchteten und Migranten zu verbessern. Sie sollten in die Verhandlungen zur Regierungsbildung im Herbst einfließen, fordert Venro.
Für Müller liegt der Schlüssel auch in Brüssel: Die EU müsse endlich ihrer Verantwortung in der Welt gerecht werden - und nicht erst handeln, wenn die Menschen mit Booten zu uns kommen.