Wissenschaftler fordern Zulassung von Embryonenforschung

Ethik gegen Ethik

Eine Neubewertung des Embryonenschutzes in Deutschland fordern große Wissenschaftsorganisationen. Die Forschung an überzähligen Embryonen sollte erlaubt werden, um Therapien gegen schwere Krankheiten zu entwickeln.

Autor/in:
Christoph Arens
Symbolbild Petrischale im Labor / © Evgeniy Kalinovskiy (shutterstock)
Symbolbild Petrischale im Labor / © Evgeniy Kalinovskiy ( shutterstock )

30 Jahre nach Inkrafttreten des Embryonenschutzgesetzes fordern deutsche Wissenschaftsorganisationen ein Umdenken bei der Embryonenforschung. Zumindest die Forschung an sogenannten überzähligen Embryonen sollte ermöglicht werden, heißt es in einer veröffentlichten Stellungnahme der in Halle ansässigen Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften.

Ebenfalls sollte die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus überzähligen Embryonen ermöglicht werden.

Leopoldina und Akademienunion betonen, dass es in Deutschland jedes Jahr eine Vielzahl von Embryonen gibt, die im Rahmen einer Reagenzglasbefruchtung entstanden sind, von der biologischen Mutter aber nicht mehr ausgetragen werden. Experten gehen von mehreren Hundert solcher - eingefrorener - Embryonen aus. Bislang dürfen sie nur für Paare mit Kinderwunsch gespendet oder müssen vernichtet werden.

Embryonen für hochrangige Forschungszwecke spenden

Das soll sich aus Sicht der Wissenschaftler ändern: Die Paare sollen die Möglichkeit erhalten, ihre Embryonen für hochrangige Forschungszwecke zu spenden.

Die Debatte über den rechtlichen Status des Embryos wogt seit Jahrzehnten: Einer "Ethik der Menschenwürde" steht eine "Ethik des Heilens" gegenüber. Befürworter eines strikten Schutzes von Embryonen - darunter auch die katholische Kirche weltweit - gehen davon aus, dass bereits mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle menschliches Leben entsteht, das geschützt werden muss. Diese Position findet sich auch im deutschen Embryonenschutzgesetz, das die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken wie auch die Verwendung von Embryonen zu einem nicht ihrer Erhaltung dienenden Zweck verbietet.

Blick in andere Länder

Andere Länder gehen dagegen von einem abgestuften Lebensschutz aus und stellen der Nutzung von Embryonen die Heilung schwerster Krankheiten bei lebenden Menschen gegenüber. In Ländern wie Israel, Dänemark, Schweden, Großbritannien, den USA und Japan darf an überzähligen Embryonen bis 14 Tage nach der Befruchtung geforscht werden. In mindestens 15 Ländern ist auch die Erzeugung von Embryonen eigens für Forschungszwecke unter bestimmten Umständen möglich. Aus Sicht der deutschen Wissenschaftsorganisationen führt dies zu einer massiven Benachteiligung deutscher Forscher; sie seien von wichtigen internationalen Forschungsbereichen ausgeschlossen.

Zumal aus Sicht von Leopoldina und Co eine große Zahl hochrangiger medizinischer Probleme durch die Forschung an Embryonen und die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen gelöst werden könnte. Sie könnten zur Entwicklung neuer Therapien etwa gegen Volkskrankheiten wie Diabetes, Arthrose, Herzinfarkt und Schlaganfall beitragen und die Fortpflanzungsmedizin verbessern.

Die Wissenschaftler versprechen sich außerdem Hinweise auf Entstehungsmechanismen genetischer Erkrankungen. "Viele wissenschaftliche Fragen zur Embryonalentwicklung, Krankheitsentstehung, Fortpflanzungsmedizin oder Anwendungen von embryonalen Stammzellen für regenerative und personalisierte Therapien lassen sich nur durch Forschung mit frühen menschlichen Embryonen beantworten", heißt es.

Rechtliche Grauzone

Den Wissenschaftsorganisationen ist klar: Der Konflikt zwischen strikten Befürwortern des Embryonenschutzes und Anhängern einer Liberalisierung wird rechtlich nicht schnell klären lassen. Sie verweisen aber darauf, dass in einem religiös neutralen und weltanschaulich pluralen Staat wie Deutschland den beteiligten Eltern sowie Wissenschaftlern und Medizinern eine angemessene Entscheidungsfreiheit einzuräumen sei.

Sie "sollten grundsätzlich das Recht haben, sich nach ihren persönlichen moralischen, religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen zu richten". Notwendigkeit und Zulässigkeit der Forschungsvorhaben sollte durch ein unabhängiges Gremium bewertet und überprüft werden.

Die Akademien verweisen zudem darauf, dass bereits heute Ergebnisse aus ausländischer Embryonenforschung in Deutschland angewendet werden. Auch dürfen in engen gesetzlichen Grenzen im Ausland gewonnene embryonale Stammzellen zu Forschungszwecken nach Deutschland importiert werden. Die Rede ist von moralischem Trittbrettfahren.


Quelle:
KNA