Sprachwissenschaftlerin zeigt Chancen von Leichter Sprache

"Im Kulturbereich fehlt ein solches Angebot oft"

Sprache schließt aus: Je komplizierter, desto weniger Menschen verstehen, worum es geht. Leichte Sprache soll möglichst einfach erklären. Sie nutzt etwa nur Hauptsätze, das Präsens und trifft nur eine Aussage pro Satz. Das eröffnet Chancen.

Autor/in:
Prüfsiegel für die sogenannte Leichte Sprache / © Friso Gentsch (dpa)
Prüfsiegel für die sogenannte Leichte Sprache / © Friso Gentsch ( dpa )

KNA: Institutionen übersetzen ihre Angebote häufiger in Leichte Sprache, etwa Erklärungen zum Coronavirus oder wie eine Landtagswahl funktioniert. Was leistet Leichte Sprache?

Prof. Dr. Silvia Hansen-Schirra (Sprachwissenschaftlerin aus Mainz: Leichte Sprache will schwere Sprache verständlich machen, sprich die Alltagssprache, aber auch Fachsprache etwa von Behörden oder Ärzten. Gerade Fachsprache ist oft kompliziert, weil Expertinnen und Experten sehr viel mehr wissen als andere Menschen. Die Zielgruppe von Leichter Sprache hat meist noch weniger Wissen und Verständnis für den Zusammenhang. Die Leichte Sprache überbrückt dieses fehlende Wissen.

KNA: Wem hilft das Angebot?

Hansen-Schirra: Rund 2,2 Millionen Menschen in Deutschland haben einen Anspruch auf Informationen in Leichter Sprache, beispielsweise Menschen mit kognitiven oder sprachlichen Einschränkungen oder Krankheiten, die die Kommunikation einschränken wie Demenz. Aber auch anderen, Analphabeten oder Migranten, kann Leichte Sprache helfen.

KNA: Die UN-Behindertenrechtskonvention von 2009 formuliert ein Recht auf barrierefreie Kommunikation. Wie nehmen Sie die Umsetzung in Deutschland wahr?

Hansen-Schirra: Sprache muss beim Thema Inklusion flächendeckend mitgedacht werden. Wir haben inzwischen Vorschriften für Behörden- und Verwaltungssprache. Das Gesundheitswesen bietet vielfach auch Infos in Leichter Sprache an. Im Kulturbereich fehlt ein solches Angebot aber oft. Inklusion bedeutet auch, dass Menschen mit Beeinträchtigungen ins Museum gehen können. Da sprechen wir nicht nur von einer Rampe für Menschen mit Rollstuhl, sondern auch davon, dass Exponate verständlich erklärt werden.

KNA: Wie sieht es in der gesprochenen Sprache aus. Gibt es Dolmetscher, die kompliziertes Deutsch in einfaches übersetzen?

Hansen-Schirra: Die Leichte Sprache war zunächst auf schriftliche Texte begrenzt. Der Markt fragt aber zunehmend nach mündlicher Kommunikation. In Deutschland gibt es aktuell etwa zehn Konferenzdolmetscherinnen für Leichte Sprache. Die übersetzen beispielsweise bei Konferenzen von kompliziertem in einfaches Deutsch. Inzwischen werden auch mehr Videos und Sendungen untertitelt - was aber schwierig ist. Untertitel müssen kurz sein, in der Leichten Sprache wird aber viel erklärt, was die Texte sehr lang macht.

KNA: Konkrete Mengenangaben ersetzt die Leichte Sprache mit viel oder wenig, alles wird im Präsens beschrieben. Wie gelingt es trotz der Vereinfachungen, eine komplexe Welt abzubilden?

Hansen-Schirra: Ziel ist, eine komplexe Welt mit möglichst einfachen Worten zu beschreiben. Dazu braucht man aber oft mehr Platz und mehr Wörter. Damit die Texte nicht zu lang werden, muss man manches weglassen und überlegen, was für die Leser wirklich wichtig ist. Viele Details, etwa wo genau etwas passiert, sind für die Zielgruppe oft nicht wichtig.

KNA: Können Sie Beispiele geben?

Hansen-Schirra: In der Medizin können Sie Pankreas sagen oder Bauchspeicheldrüse oder aber 'es ist ein Organ im Körper'. Die Information bleibt korrekt. Oder nehmen wir 'Bundeskanzlerin Angela Merkel'. Bei diesem Ausdruck werden sehr viele Informationen zur Funktion und dem Amt mitgegeben, die ein Mensch mit kognitiver Beeinträchtigung nicht unbedingt weiß. Da kann man vereinfacht sagen: Unser Land hat eine Chefin. Das ist Frau Merkel. Frau Merkel regiert Deutschland.

KNA: Was können wir uns abgucken, um uns im Alltag verständlicher auszudrücken?

Hansen-Schirra: Wir könnten weniger komplexe Sätze formulieren und Fach- und Fremdwörter erklären. Von anderen Dingen würde ich abraten. In Texten in Leichter Sprache wiederholt sich sehr viel. Zum Beispiel wird statt dem Pronomen 'sie' immer gesagt, um wen es geht, eine Frau oder die Menschen. Dadurch werden Texte sehr redundant, was zu Kritik führen kann.

KNA: Kritiker sagen, Leichte Sprache verschandele die Sprache.

Hansen-Schirra: Ich möchte für Akzeptanz werben. Leichte Sprache ist ein ergänzendes und bereicherndes Angebot für Menschen, die es brauchen. Die Zielgruppe erhält Informationen ansonsten nicht oder würde sie nicht verstehen. Für sie geht es um Teilhabe. Ich würde aber Änderungen vorschlagen und beispielsweise Bilder und Layout freier gestalten. Denn in der Leichten Sprache sieht ein Kochrezept genauso aus wie ein Ratgeber für Wahlen oder eine Erklärung zu Corona.

Das Interview führte Anna Fries.


Quelle:
KNA