Ginge es nach Papst Franziskus, wäre die Sache klar: Grundeinkommen für alle. Bereits während der erste Corona-Welle forderte er unter dem Eindruck der vielen Menschen, die durch die Pandemie in Not gerieten: "Vielleicht ist jetzt die richtige Zeit, über ein universales Grundeinkommen nachzudenken, das die wichtigen und unersetzlichen Aufgaben anerkennt und würdigt, die sie erfüllen." Später, in seinem Buch: "Wage zu träumen! Mit Zuversicht aus der Krise", in dem er Visionen für die Zeit nach Corona entwirft, wiederholte er diese Forderung: "Maßnahmen wie das Grundeinkommen können dazu beitragen, dass die Menschen frei dazu werden, das Verdienen des Lebensunterhaltes und den Einsatz für die Gemeinschaft zu verbinden."
Die Idee klingt bestechend einfach: Jeder Bürger erhält monatlich eine staatlich festgelegte Summe, ohne Gegenleistung und unabhängig von seinen wirtschaftlichen Verhältnissen. Dadurch werde die Tätigkeit der Menschen aufgewertet, sagt Winfried Gather von der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB): Er sieht im bedingungslosen Grundeinkommen einen Baustein für eine Gesellschaft, "in der nicht nur Erwerbsarbeit zählt, sondern auch Familienarbeit wie Erziehung und Pflege oder bürgerschaftliches Engagement", sagte er im DOMRADIO.DE-Interview. Die KAB unterstützt das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens seit 2004, Gather ist stellvertretender Sprecher eines extra dafür geschaffenen Kompetenzzentrums.
Würden die Menschen weiterarbeiten?
Fast die Hälfte aller Bundesbürger kann dieser Idee ebenfalls etwas abgewinnen, jetzt soll erstmals die Wirkung des bedingungslosen Grundeinkommens wissenschaftlich untersucht werden: Wie verhalten sich Menschen, wenn sie materiell abgesichert sind? Werden sie gesünder? Arbeiten sie weniger oder engagieren sie sich sozial? Treffen sie mutigere Entscheidungen und werden sie kreativer? Das untersucht derzeit eine gemeinsame Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und des Vereins "Mein Grundeinkommen". Seit Juni 2021 erhalten 122 Personen drei Jahre lang monatlich 1200 Euro; Ziel der Untersuchung ist, Grundlagenforschung zum bedingungslosen Grundeinkommen zu liefern.
Mit großem Interesse verfolgt auch die KAB diese Studie, Winfried Gather ist überzeugt, dass die Menschen sich auf dem Grundeinkommen nicht ausruhen werden: "Unsere Erfahrungen und auch Umfragen zeigen deutlich, dass die Leute weiterarbeiten wollen - nur anders", sagte er. Viele wünschten sich etwa mehr Zeit für die Familie, andere Arbeitszeiten und Weiterbildungen.
Auch der Milliardär bekäme ein Grundeinkommen
Auch Elmar Nass, Sozialethiker und Professor an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) verfolgt die Studie mit großem Interesse – und einiger Skepsis: "Wir haben auch jetzt schon ein System der Sozialtransfers, das die Ärmsten in unserer Gesellschaft schützt", sagt er und verweist auf die Grundsicherung. Vor allem das Gießkannenprinzip sieht er kritisch. Im Interview mit DOMRADIO.DE sagte er: "Auch der Milliardär bekommt dann ein Grundeinkommen. Ich halte es für besser, dass im Sinne der Subsidiarität nur diejenigen Sozialtransfers bekommen, die sie wirklich brauchen."
Ungeklärt ist für Nass auch die Frage der Finanzierung: Es müsse genug ausgezahlt werden, dass Menschen davon leben können, gibt er zu bedenken: 300 Euro monatlich reichten nicht aus. Es müssten wie in dem Modell mindestens 1200 Euro sein. "Wo soll das denn herkommen?", fragt er. Von emanzipatorisch-sozialen Finanzierungsmodellen, wie die KAB sie vorschlägt - also vor allem durch Steuererhöhungen bei hohen Einkommen und Vermögen - hält er nicht viel: "Das läuft auf eine Umverteilung von oben nach unten hinaus, so wie das auch die Partei "Die Linke" fordert, das lässt meiner Meinung nach den Leistungsgedanken in den Hintergrund treten."
So ganz ohne Gegenleitung sollte es auch nicht sein, der Meinung ist der Kölner Sozialpfarrer Franz Meurer: Er macht in seiner Gemeinde in einem städtischen Brennpunkt die Beobachtung, dass die Menschen gebraucht werden wollen: "Die wollen nicht einfach alimentiert werden, sondern jeder Mensch will für das Gemeinwohl etwas tun", erzählt er. Darum spricht er sich für ein "im moderaten Rahmen vorbereitetes Engagement für die Gesellschaft und die Gemeinschaft" aus, also jeder so, wie er kann: "Wenn Sie zum Beispiel Flötenunterricht geben wollen, dann geben Sie doch Flötenunterricht in der Schule. Oder wenn jemand gerne draußen arbeitet, kann er Blumen pflanzen, Rasenmähen, Dreck wegmachen", findet Meurer. "Denn das Grundeinkommen macht einen frei, weil man genau das machen kann, was einem liegt, wenn man eine Grundsicherung hat."
Niedriglohnsektor wird auf den Kopf gestellt
Doch wer würde dann die wirklich unbeliebten Jobs zu unangenehmen Tageszeiten und schlechter Entlohnung machen? Die Gegenfrage muss lauten: Wer macht diese Arbeit denn heute? Die Menschen, die keine Wahl haben, sagt Gather von der KAB: Mit dem Grundeinkommen müsste man nicht mehr jede Arbeit zu jeder Bedingung annehmen. Das würde den Niedriglohnsektor umkrempeln, unbeliebte Jobs könnten über die Vergütung aufgewertet werden: Mit 1200 Euro monatlich liege das Grundeinkommen knapp über der Armutsrisikoschwelle, sagt Gather, viele wollten sich aber mehr leisten, einen Urlaub oder ein Auto zum Beispiel. "Das heißt, der Anreiz, einer Tätigkeit nachzugehen, wird eigentlich damit aufgewertet."
Eine Welt, in der keiner um seine Existenz bangen muss oder unter unwürdigen Bedingungen Jobs erledigen muss: Auch der Theologe und Sozialethiker Nass von der KHTH findet ein solches Modell reizvoll, aber unrealistisch: "Das ist ein Ideal, das davon ausgeht, dass alle Menschen bereit sind, selbstlos für den anderen zu arbeiten. Aber das funktioniert so nicht, die Menschen haben auch egoistische Züge, und deswegen müssen wir die "Conditio Humana", als so den Menschen so nehmen wie er ist und aufgrund dessen Gesellschaft gestalten und nicht einer Utopie hinterherlaufen."
Derzeit ist die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen vor allem eine von allen Seiten ideologisch geführte. Darum – und da ist er sich mit der KAB einig - begrüßt der Sozialethiker Nass die wissenschaftliche Studie, die der Diskussionen Fakten liefern könnte: "Und es ist immer gut, von abgetretenen Pfaden abzuweichen", sagt er, "und neue Denkmodelle auszuprobieren."