Gründungspräsident des Europaparlaments vor Seligsprechung

Robert Schuman, ein Heiliger im Straßenanzug

Robert Schuman hatte einen Plan: Die zentralen Stoffe der Rüstungsindustrie sollten von den Erbfeinden Frankreich und Deutschland gemeinsam verwaltet werden. Daraus wurde eines der größten Projekte unserer Zeit.

Büste von Robert Schuman in Brüssel, Belgien / © Takashi Images (shutterstock)
Büste von Robert Schuman in Brüssel, Belgien / © Takashi Images ( shutterstock )

Europa genießt bei Manchem nicht das höchste Ansehen, daran hat auch die Pandemie wenig geändert. Allerdings schwindet auch das historische Bewusstsein dafür, dass die Existenz der heutigen EU vor allem auf die Visionen und das hartnäckige Engagement christlich geprägter Politiker zurückgeht. Einer ihrer Vorreiter war der Franzose Robert Schuman (1886-1963), erster Präsident des Europäischen Parlaments, das 1958 erstmals zusammentrat. Es hat ihm später den Ehrentitel "Vater Europas" verliehen.

Nun ist Schuman einer Seligsprechung einen bedeutenden Schritt näher gekommen. Am Samstag teilte der Vatikan das mit, was in französischen Medien bereits im April prognostiziert worden war: Papst Franziskus habe entschieden, Schuman den heroischen Tugendgrad zuzusprechen. Damit gilt er offiziell als besonderes Glaubensvorbild, eine essenzielle Voraussetzung für eine Seligsprechung.

Schuman wollte eigentlich Priester werden 

Tatsächlich war Schuman buchstäblich der geborene Europäer: Seine Heimat lag auf der Grenze zwischen Luxemburg und Lothringen - das 1871 an das Deutsche Reich fiel. Im Ersten Weltkrieg diente er noch als Reservist im deutschen Heer. Nach der Abtrennung Elsass-Lothringens jedoch wurde der Grenzgänger, der in Metz als Rechtsanwalt tätig war, Franzose und 1919 junger Abgeordneter der Pariser Nationalversammlung.

Nach dem frühen Tod seiner Eltern hatte Schuman eigentlich Priester werden wollen. Doch Freunde überzeugten ihn, dass die Welt tüchtige Laien brauche - und dass die Heiligen des 20. Jahrhunderts Straßenanzüge trügen. So schlug der umfassend Begabte eine Karriere als Jurist und aktiver Laienkatholik ein.

Bereits in den 20er Jahren knüpfte Schuman ein dichtes Netz von Kontakten mit christlich-demokratischen Politikern aus ganz Europa, etwa Konrad Adenauer oder dem Italiener Alcide de Gasperi. Diese Beziehungen sollten nach 1945 Früchte tragen. Doch zunächst geriet Schuman als Unterstaatssekretär für das Flüchtlingswesen in Gegensatz zu Petains Vichy-Regierung; im Herbst 1940 wurde er als erster prominenter französischer Politiker verhaftet.

Idee der europäischen Einigung

Nach seiner Flucht aus Gestapo-Haft im August 1942 versteckte sich Schuman bei Benediktinern, mit denen ihn enge Freundschaft verband. Er arbeitete nun im Widerstand; 1945 gründete er die Christlich-Demokratische Partei.

Zwischen 1947 und 1953 gehörte Schuman allen schnell wechselnden französischen Regierungen an - zunächst als Finanzminister, dann als Premier- und Außenminister. Gegen die Anfeindung der Gaullisten betrieb er mit Energie seine Idee der europäischen Einigung und einer deutsch-französischen Annäherung. Auch die Straßburger Konvention für die Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 gilt als sein Werk.

Fünf Jahre nach Kriegsende, im Mai 1950, wurde der sogenannte Schuman-Plan vorgestellt. Der damalige Außenminister sah darin eine "Montanunion" zwischen Frankreich und Deutschland vor, also eine behördliche Aufsicht über die Stahl- und Kohleproduktion beider Länder. Die gemeinsame Bewirtschaftung der zentralen Stoffe der Rüstungsindustrie durch die einstigen Erbfeinde war für Schuman aktive Friedenspolitik.

Würdigung durch Papst Johannes Paul II.

Dieses Instrument, das auch dem Beitritt anderer Länder offen stand, sollte zur Keimzelle der europäischen Einigung werden - die heute weit über den einst Eisernen Vorhang ausgreift. Die Stadt Aachen verlieh Schuman dafür 1958 den Karlspreis. Noch weiter reichende Elemente der Integration, etwa eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft, scheiterten damals an nationalen Widerständen.

Auch nach seinem Ausscheiden als Parlamentspräsident 1960 verfolgte Schuman noch in mehreren Funktionen weiter das Werden "seines" Europa. Doch im Winter 1961 erlitt der Junggeselle bei einem Abendspaziergang einen Herzinfarkt. Eine ganze Nacht blieb er hilflos in Eiseskälte liegen - und erholte sich nie mehr ganz davon. Am 4. September 1963 starb Schuman, 77-jährig, in seinem Landhaus bei Metz.

Ein "ewiges Vorbild für alle Verantwortlichen am Aufbau Europas" nannte Papst Johannes Paul II. (1978-2005) Schuman 1988 vor dem EU-Parlament. Der Seligsprechungsprozess für den überzeugenden Christen, der auch als Regierungschef täglich die Messe besuchte, lief seit 1990. Nun könnte sein Verdienst, die Vision eines geeinten Europa nach Zeiten des «totalen Krieges» in politische Realität umgesetzt zu haben, belohnt werden.

Von Alexander Brüggemann


Quelle:
KNA