Der symbolische Höhepunkt kam zum Abschluss des dreitägigen Besuchs am Abend des 23. Juni 1996: Gemeinsam mit Bundeskanzler Helmut Kohl schritt Papst Johannes Paul II. durch das offene Brandenburger Tor, 28 Jahre lang Symbol der Trennung und unnatürliche Schnittstelle zwischen Ost und West.
Der Papst aus Polen, der nach Worten seines sowjetischen "Gegenspielers" Michail Gorbatschow maßgeblich zum Zusammenbruch des Ostblocks beigetragen hatte, war tief bewegt: "Jetzt, nachdem ich durch das Brandenburger Tor gegangen bin, ist auch für mich der Zweite Weltkrieg zu Ende", sagte er anschließend.
Dank für die friedliche Revolution
Kohl dankte dem Papst, der sich "nie mit der widernatürlichen Teilung Europas durch den Eisernen Vorhang abgefunden" habe. Er habe entscheidenden Anteil daran, dass der Traum von der Wiedervereinigung Deutschlands in Erfüllung ging.
Johannes Paul II. seinerseits würdigte den Kanzler als "Baumeister der neugewonnenen Einheit Ihres Volkes", der die weltgeschichtliche Chance genutzt habe, 17 Millionen Landsleuten die Freiheit zu erringen und die Einheit des deutschen Volkes zu vollenden. Zugleich dankte er den Berlinern und allen Deutschen für die "friedliche Revolution des Geistes, die zur Öffnung dieses Brandenburger Tores führte".
Neues Haus Europa
Für den Papst aus Polen war es eine historische Feier an einer historischen Stätte, von der aus er den Blick nach vorne richtete: Das neue Haus Europa brauche ein freies Berlin und ein freies Deutschland. Es brauche eine "Zivilisation, die auf den universellen Werten des Friedens, der Solidarität, der Gerechtigkeit und der Freiheit" gründe.
Neben der bewegenden Szene vom Brandenburger Tor gingen - wie bei Staatsbesuchen in Berlin häufig - auch Bilder von Randale und Protesten gegen den Papst um die Welt. Entlang der Fahrtroute "Unter den Linden" gab es Pfiffe und Buhrufe - und eine nackte "Gegenpäpstin". Das Papstfahrzeug wurde von Eiern getroffen, deren Reste der Kanzler selbst bereinigte.
Seligsprechungen
Der Papstbesuch in Berlin hatte auch einen geistlichen Höhepunkt. Vor 100.000 Gläubigen sprach Johannes Paul II. im Olympiastadion zwei Märtyrer der NS-Zeit selig: den Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg, der öffentlich gegen die Judenverfolgung protestiert hatte und 1943 bei der Deportation ins KZ Dachau starb. Und den Münsteraner Priester Karl Leisner, der wegen seiner Kritik an Hitler nach Dachau kam und kurz nach Kriegsende an den Folgen der Haft starb. "Genau an dem Ort, wo das NS-Regime vor 60 Jahren die Feier der Olympischen Spiele zu einem Triumph für seine menschenverachtende Ideologie nutzen wollte ..., triumphieren heute zwei selige Märtyrer", sagte der Papst unter dem Applaus der Menge.
Warnung vor radikalem Kapitalismus
Vor der Etappe im säkularen Berlin hatte Johannes Paul II. seine 72. Auslandsreise mit einem katholischen "Heimspiel" in Paderborn begonnen. Die Begrüßung in Ostwestfalen war freundlich, wenn auch verhaltener als bei früheren Besuchen in Köln oder Münster. Seit 1989 habe sich die Welt radikal verändert, sie wachse immer enger und schneller zusammen - und das Zusammenwachsen müsse menschenwürdig gestaltet werden, mahnte der Pontifex. Vor 80.000 Gläubigen warnte er vor einem radikalen Kapitalismus und einem überzogenen Individualismus - und forderte Gerechtigkeit und Solidarität für die Völker der Welt.
Betonung der Ökumene
Im Vordergrund stand in Paderborn freilich die Ökumene. Im Dom würdigte der Papst die zuvor erzielten Fortschritte, die Gräben überbrückt hätten, die frühere Generationen für unüberbrückbar hielten. "Wir müssen Mut und Fantasie entwickeln, heute jene Schritte zu tun, die möglich sind." Aber die Einheit müsse schrittweise wachsen, warnte er vor übereiltem Vorpreschen.
Anerkennend äußerte sich das Kirchenoberhaupt dabei auch zu Martin Luther - zu dessen 450. Todestag. Nach Jahrhunderten leidvoller Entfremdung und Auseinandersetzung könne man heute "deutlicher den hohen Stellenwert seiner Forderung nach einer schriftnahen Theologie und seines Willens zu einer geistlichen Erneuerung der Kirche erkennen", sagte der Papst. Auf die im Vorfeld geforderte Aufhebung des Bannes gegenüber Luther ging er nicht ein. Ohnehin war der Bann mit dem Tod des Reformators gegenstandslos geworden.