DOMRADIO.DE: Man sagt irgendwie immer "Gott, unser Herr" oder "der Gott". Aber ist Gott denn männlich? Sie haben sich ja mit dem Thema jetzt beschäftigt.
Pfarrer Veit Dinkelaker (Vorstand der Frankfurter Bibelgesellschaft e.V. und Leiter des Bibelhaus Erlebnis Museums): Weiblich, männlich, divers haben wir ja die Ausstellung genannt: "G*tt w/m/d Geschlechtervielfalt seit biblischen Zeiten". Die Genderfrage gibt es schon immer und es macht Spaß, sich klarzumachen, wie sich das in unserem Gottesbild widerspiegelt.
In unserem Katalog lassen wir auch einen jüdischen orthodoxen Rabbiner Jehoschua Ahrens und die islamische Professorin Mira Sievers zu Wort kommen. Und die sagen natürlich: Also Geschlechtlichkeit im Zusammenhang mit Gott macht überhaupt gar keinen Sinn. Aber wenn man in die Bibel schaut, ist es schon interessant, dass da Geschlechtlichkeit doch eine Rolle spielt.
Vielleicht gendern wir ja, ohne dass wir das merken. Wir sprechen von Gott als "Vater" und sagen aber "barmherziger Vater". Und da kann man wiederum aus dem Hebräischen und sogar aus dem Arabischen lernen, dass die Barmherzigkeit ursprünglich vom Mutterschoß kommt. So haben wir plötzlich beim "barmherzigen Vater" eine diverse Vorstellung.
DOMRADIO.DE: Was zeigt die Ausstellung "G*tt w/m/d Geschlechtervielfalt seit biblischen Zeiten"?
Dinkelaker: Wir versuchen, die Genderfrage tatsächlich bis an den Anfang zu führen und zu sagen: Das ist eine uralte Frage, die uns von Anfang an beschäftigt. Wir steigen ein in die Archäologie. Wir zeigen ganz wertvolle Gegenstände, die wir aus Israel bekommen haben, aus biblischen Ländern, die uns die Vielfalt der Gottesbilder und auch der Geschlechtlichkeit von Gottheiten zu biblischen Zeiten zeigen.
Dann steigen wir ein und gehen in die Buchkunst. Tatsächlich wird seit 2000 Jahren anhand der Erschaffung von Adam, dem Ebenbild Gottes, diskutiert, ob Adam nicht androgyn war. Und dafür gibt es ganz viele Beispiele und wir zeigen einige davon in wirklich sehr wertvollen Handschriften, die zu sehen sind, z. B. "Splendor Solis" zeigt einen tatsächlich christlichen Hermaphroditen aus dem Jahr 1400.
DOMRADIO.DE: Es ist ja noch gar nicht lange her, da gab es die Diskussion, Gott mit einem Gendersternchen dahinter zu schreiben (Gott*). Was halten Sie, nachdem Sie sich jetzt mit dieser Ausstellung auch auseinandergesetzt haben, von diesem Vorschlag?
Dinkelaker: Das ist immer wieder auch eine Geschmacksfrage. Wir schreiben jetzt Gott tatsächlich mit einem Gendersternchen an der Stelle von dem Vokal (G*tt). Da lehnen wir uns ein bisschen an die jüdische Tradition an, auch die hebräische Tradition, die ja gar keine Vokale kennt und auch ein bisschen vorsichtig mit der Benennung von Gott ist.
Unsere Sprachweise von Gott ist immer ein Vehikel. Wir können ja ohnehin nicht ohne Sprache funktionieren und dann benutzen wir auch Maskulinum, Femininum, Neutrum und auch bestimmte Wörter, wo wir uns dann vielleicht auch dahinter männliche oder weibliche Gestalten vorstellen. Und dieses Sternchen zeigt uns: Da ist noch ein bisschen was übrig, also da gibt es einen Überschuss.
DOMRADIO.DE: Die Debatte um Geschlechtergerechtigkeit und gendergerechte Sprache und das Zeigen von Diversität bei diesem Thema ist ja sehr aktuell. Glauben Sie, dass die Kirche sich damit auseinandersetzen kann? Und wenn ja, wie?
Dinkelaker: Vielleicht wäre es tatsächlich gut, wir würden anfangen, dann auch über das Gottesbild zu sprechen und über unsere Bilder und was sie transportieren. Was bedeutet es, wenn wir Gott für grundsätzlich nur männlich erachten? Worüber wir uns wahrscheinlich relativ schnell einigen können, dass es nicht zutrifft.
Ich glaube, es täte uns als Kirchen gut, wenn wir Sexualität und Geschlechtlichkeit mit einer Offenheit thematisieren würden, bei der die Menschen denken: Ja, denen geht es tatsächlich auch um die Personen, um die Menschen. Es ist in der Ausstellung so, dass wir auch Leute, die sich nicht mit ihrem Geburtsgeschlecht identifizieren, zu Wort kommen lassen. Und wie sie auf die Bibel blicken, das ist einfach erhellend.
DOMRADIO.DE: Wir kommen noch mal zurück auf die Ausstellung. Was zeigt die jetzt auch in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit in der vergangenen Zeit? Das ist ja eigentlich kein Thema, was jetzt gerade erst aktuell wird.
Dinkelaker: Wir versuchen die Spur aufzuzeigen, dass die Frage von Anfang an offen war und versuchen, sozusagen historische Belege dafür zu finden, dass das gar nicht so etwas Neues ist, sondern dass wir uns tatsächlich da seit Jahrhunderten und Jahrtausenden mit beschäftigen.
Das halten wir für erhellend, damit wir vielleicht heute tatsächlich auch noch mal frisch auf diese Frage zugehen können, ohne jetzt zu denken: Aber es war doch schon immer so oder so – also einfach als Impuls.
DOMRADIO.DE: Nicht jeder kann zum Frankfurter Bibelhaus reisen, um sich diese Ausstellung dann auch da anzuschauen. Gibt es eine Möglichkeit, sich das trotzdem anzusehen und sich damit auseinanderzusetzen?
Dinkelaker: Einmal darf ich auf unseren Katalog hinweisen. 200 Seiten, wo die Sachen auch reich bebildert und mit Artikeln belegt sind. Und dann gibt es aber tatsächlich auch einen Online-Auftritt. Die Internetadresse ist www.gott-wmd.de. Da kann man virtuell die Ausstellung besuchen und sich einige Sachen dort angucken – in einer aufbereiteten Art und Weise. Lassen Sie sich überraschen!
Das Interview führte Michelle Olion.