Seit einem Jahr gilt in Hongkong das nationale Sicherheitsgesetz

"Nicht nur die Kirche bangt um Rechtsstaatlichkeit"

Seit einem Jahr gilt in Hongkong das von Peking erzwungene Gesetz zur Nationalen Sicherheit. Die Regierung setzt dies energisch um. In Sorge um die Bewegungsfreiheit ist auch die Kirche, sagt Katharina Feith, Redakteurin bei "China heute".

Feier der Heiligen Messe in Hongkong / © Francis Wong (KNA)
Feier der Heiligen Messe in Hongkong / © Francis Wong ( KNA )

KNA: Wie hat sich seit Inkrafttreten des Sicherheitsgesetzes die Lage für die Katholiken und allgemein für die Christen in der Sonderverwaltungszone Hongkong entwickelt?

Katharina Feith (Redakteurin der Zeitschrift "China heute" der Steyler Missionare): Es herrscht die große Sorge, dass immer mehr Freiheiten und Rechtsstaatlichkeit verloren gehen. Die im Sicherheitsgesetz genannten Hauptvergehen "Abspaltung, Subversion, Terrorismus und Kollaboration mit ausländischen Kräften" können sehr breit ausgelegt werden. Seit Inkrafttreten gab es eine große Zahl von Verhaftungen von Demokratie-Aktivisten, unter ihnen eine ganze Reihe Christen.

Die Kirchen bangen um die Eigenständigkeit ihrer Schulen. Viele Schüler Hongkongs gehen auf christliche Schulen und haben sich an den Protesten von 2019 beteiligt. Das Bildungsministerium hat die Schulen inzwischen angewiesen, jegliche politische Aktivität zu unterlassen. Die Diözesanleitung sah sich im August gezwungen, die Schulen aufzufordern, bei den Schülern das Bewusstsein für das neue Sicherheitsgesetz zu schärfen.

KNA: Welche Folgen sind für die Kirche Hongkongs zukünftig noch zu befürchten?

Feith: Das hängt sehr davon ab, in welchem Maß die Zentralregierung in Peking Hongkongs Christen als Bedrohung wahrnimmt. Eine Reihe von Fragen tut sich auf: Könnten zum Beispiel künftig Predigten überwacht werden? Wird das Sicherheitsgesetz mittelfristig auch Auswirkungen auf ausländische Missionare in Hongkong haben? Die internationalen Orden spielen in Hongkong eine wichtige Rolle, in der Gemeindearbeit, im Schulwesen, in der sozial-karitativen Arbeit und der Arbeit mit Migranten. Auch haben sie viele Verbindungen nach China hinein. Könnte ihnen künftig "Kollaboration mit ausländischen Kräften zur Gefährdung der nationalen Sicherheit" vorgeworfen werden?

KNA: Wie steht es mit Hongkong als Ort, an dem sich kirchliche China-Fachleute weltweit austauschen konnten und Fortbildungsprogramme für chinesische Katholiken stattfanden?

Feith: Da stellt sich die Frage, inwieweit dies künftig noch möglich sein wird. Auswirkungen darauf könnte auch das umstrittene Immigrationsgesetz haben, das am 1. August in Kraft tritt und den Behörden sehr weitreichende Befugnisse für ein Verbot von Ein- und Ausreisen gewährt.

KNA: Welche Rolle spielten Christen bei den Demokratieprotesten seit 2019?

Feith: Viele der führenden Demokratie-Aktivisten sind Christen. Joshua Wong, das bekannteste junge Gesicht der Demokratiebewegung, ist Protestant, die 24-jährige Agnes Chow, die gerade sechs Monate Haft verbüßt hat, ist Katholikin. Auch der Gründer der Demokratischen Partei Hongkongs Martin Lee und der bekannte Medienmogul Jimmy Lai sind Katholiken, beide wurden im April 2021 wegen Organisation und Teilnahme an einer nichtgenehmigten Großdemonstration 2019 zu Haftstrafen verurteilt.

Die Kirchen in Hongkong haben sich bei den Protesten immer wieder mit Gottesdiensten und Gebetswachen beteiligt, etliche Kirchen gewährten den Demonstrierenden Zuflucht. Die diözesane Kommission Justitia et Pax war stets an vorderster Front der Protestbewegung aktiv.

KNA: Die Kirche versuchte auch zu vermitteln?

Feith: Ja, durchaus. Kardinal John Tong schlug mahnende Worte auch Richtung Regierung an, Kardinal Joseph Zen und Weihbischof Joseph Ha beteiligten sich an vielen öffentlichen Aktionen. Von chinesischen Medien wurden die Kirchen als "Anstifter zu politischen Unruhen" bezeichnet. Trotz Einigkeit bezüglich Freiheitsrechten gab es in der Kirche allerdings auch Differenzen, wie weit die Unterstützung der Demokratiebewegung gehen sollte. Im September rief Kardinal Tong in einem Hirtenbrief zur Einheit auf. Die unterschiedlichen Meinungen der Gläubigen zu gesellschaftlichen und politischen Themen dürften nicht zur Spaltung führen.

KNA: Regierungschefin Carrie Lam ist Katholikin. Von Vorteilen für die Kirche ist allerdings bisher nichts bekannt...

Feith: Ja, Carrie Lam ist praktizierende Katholikin, ist aber auch die von der Pekinger Regierung gestützte Regierungschefin. Es gibt immer wieder Konflikte über politische und gesellschaftliche Fragen mit der Kirchenleitung. Vor Ernennung zur Regierungschefin 2017 hat sich Carrie Lam für die Gründung eines Religionsbüros in Hongkong stark gemacht. Der Widerstand der Kirchen war enorm. Sie befürchteten, dass ähnlich wie in der Volksrepublik China damit alle religiösen Aktivitäten streng überwacht würden. Letztlich musste sie den Vorschlag zurückziehen.

KNA: Gibt es auch Freiräume, die die Kirche nutzen konnte?

Feith: Hongkongs Kirchen waren in diesem Jahr die einzigen legalen Orte, an denen das traditionelle Gedenken an die Opfer des Tiananmen-Massakers am 4. Juni 1989 möglich war. In sieben katholischen Kirchen wurden Gedenkgottesdienste abgehalten. Wie auch im vergangenen Jahr hatte die Hongkonger Regierung die sonst jährlich stattfindende große Gedenkveranstaltung im Victoria Park verboten - vorgeblich aus Furcht vor der Verbreitung des Coronavirus.

KNA: Nach fast zweieinhalb Jahren Vakanz wird der Bischofsstuhl in Hongkong neu besetzt. Was ist von Bischof Stephen Chow Sau-yan zu erwarten?

Feith: Die Wahl von Stephen Chow kam überraschend, wurde aber in der Kirche Hongkongs mit großer Erleichterung aufgenommen. Es scheint eine "salomonische" Entscheidung nach einem langen Prozess, begleitet von vielen Spekulationen über eine mögliche Rücksichtnahme gegenüber der Volksrepublik. Der Hongkonger kennt die Situation gut, engagiert sich für Jugend und Bildung, soll ein Mann des Dialogs und Ausgleichs sein, spirituell und eine starke Führungspersönlichkeit. Genau das braucht es in der tief gespaltenen Gesellschaft und Kirche.

KNA: Wie weit hat sich der Jesuit bisher geäußert?

Feith: Stephen Chow sieht sich als Brückenbauer. In einer Pressekonferenz nach seiner Ernennung sprach er von Dialog, gleichzeitig betonte er, dass er keine Angst habe, über kontroverse und politische Themen zu sprechen. Er bestand auf der Religionsfreiheit als Grundrecht, nicht nur für die Kirche, sondern für alle Religionen. Er werde die Regierung daran erinnern!


Quelle:
KNA