Wie der englische Traum vom Titel platzte

Gebrochene Herzen

Es war das schnellste Tor der EM 2020 und doch reichte es nicht für den Titel. Wie haben englische Fans die Niederlage nach Elfmeterschießen verarbeitet und was bedeutet die EM für die Corona-Lage in Großbritannien? Pfarrer Andreas Blum berichtet.

Englische Fans sind konsterniert / © Martin Rickett (dpa)
Englische Fans sind konsterniert / © Martin Rickett ( dpa )

DOMRADIO.DE: Katerstimmung in der britischen Hauptstadt, im ganzen Land. Wie sieht es bei Ihnen persönlich aus?

Andreas Blum (Pfarrer der deutschsprachigen katholischen Gemeinde in London): Ich habe natürlich gestern auch mit gezittert und nach dem Spiel schon erste Trauerseelsorge bei Gemeindemitgliedern betrieben. Das hat hier schon ziemlich reingeschlagen gestern Abend, nachdem sich so die Stimmung in den letzten Tagen richtig aufgeheizt hatte und Hoffnung aufkeimte, endlich mal wieder einen Titel gewinnen zu können und dann auch noch in Wembley im Heimatstadion. Und dann kam wieder dieses Elfmeterschießen dazwischen und der Traum platzte. "Heartbreaking" ist das Stichwort heute auf fast allen Zeitungen - also: gebrochene Herzen.

DOMRADIO.DE: Ich habe gestern um 4 nach 9 leicht verspätet den Fernseher angemacht und das war ja unglaublich. England lag da schon in Führung und eigentlich dachten wir alle, das schaukeln die jetzt bequem nach Hause.

Blum: Ja, die erste Halbzeit lief ausgesprochen gut. Die Italiener waren irgendwie aus dem Konzept gebracht. Allerdings haben die sich dann in der zweiten Halbzeit darauf eingestellt und die englische Mannschaft konnte nicht entsprechend reagieren, sodass sich das Spiel dann eben doch noch mal drehte.

DOMRADIO.DE: Dann wieder unentschieden nach 90 Minuten, wie schon in den beiden Halbfinals zuvor. Beim Elfmeterschießen dachte ich dann wieder, es sieht gut aus für England und am Ende gewinnt doch Italien. So hatten Sie wenigstens eine ruhige Nacht in London, denn es gab ja schon ordentlich Krawalle im Vorfeld.

Blum: Es gab einiges im Vorfeld. Es gab 49 Verhaftungen um Wembley herum. Nun kann man natürlich sagen, bei 60.000, die im Stadion waren und noch einigen Tausend drumherum ist das jetzt nicht so viel. Einige hatten versucht, ohne Tickets ins Stadion zu kommen - weil das Stadion nur zu drei Viertel belegt war, hatte man sich wohl Hoffnungen gemacht. Aber es gab auch einige Ausfälle in den sozialen Medien - wie wir das ja heute leider oft haben - wo vor allem die jungen Elfmeterschützen, die dann eben nicht das Tor gemacht haben, beschimpft wurden.

DOMRADIO.DE: 67.000 Zuschauerinnen und Zuschauer waren gestern im Wembley-Stadion. Da war nicht mehr viel von der pandemischen Lage zu sehen. In Deutschland gibt es ja mitunter harte Kritik an der vermeintlichen Leichtsinnigkeit von Politik und UEFA. Wie ist da eigentlich in England die Reaktion drauf?

Blum: Erstaunlich gelassen muss man fast sagen. Es wird natürlich getestet. Es ist sehr stark geimpft worden. Die Impfkampagne war ja hier sehr erfolgreich, sodass man das Ganze so ein bisschen als Experiment auch verkauft hat.

Man hatte im Vorfeld schon an Konzerten so mit 5.000, 10.000 Teilnehmern getestet, welche Auswirkungen das auf die Infektionskurven hat. Dabei hat man festgestellt, dass das nicht so dramatisch war, also dass die Impfstoffe da doch gute Arbeit leisten. Und in der Tat ist es jetzt in den letzten Wochen so - wir haben ja jetzt schon einige Spiele in Wembley mit großen Zahlen gehabt -, dass die Infektionszahlen steigen, aber die entscheidenden Ziffern, also wer wirklich erkrankt und wer ins Krankenhaus muss oder wer sogar an dem Virus stirbt, haben sich glücklicherweise nicht nach oben bewegt.

DOMRADIO.DE: Jetzt ist die Europameisterschaft vorbei, der Traum ist ausgeträumt. Die Corona-Infektionen steigen, auch wenn Sie sagen, dass die Effekte nicht so dramatisch sind. Aber womöglich kommt da noch einiges dazu in Richtung Herbst. Wie schauen Sie in die Zukunft?

Blum: Das war einer der Gründe der Regierung, die sie auch ziemlich offen kommuniziert haben. Die Sorge, dass im Herbst mit anderen Infektionskrankheiten wie der Grippe und auch der Notwendigkeit, sich wieder viel mehr in den Räumen aufzuhalten, der Sommer jetzt eigentlich der beste Zeitpunkt wäre, die Türen wieder aufzumachen. Wir haben "Freedom Day" am kommenden Montag, wo mehr oder weniger alles wieder erlaubt wird. (Anm. d. Red.: Premierminister Boris Johnson kündigte für den 19. Juli den "Freedom Day" - zu dt. "Freiheitstag" - an. An diesem Tag sollen alle Corona-Maßnahmen in England aufgehoben werden.)

Das heißt, wir hoffen jetzt erst einmal auf einen Sommer. Und gerade wir Deutschen, die wir jetzt seit einer Woche auch wieder raus dürfen und nach Hause dürfen, hoffen auf Mobilität. Viele sind schon auf dem Weg nach Deutschland. Und was im Herbst dann sein wird, das müssen wir abwarten.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Pfarrer Andreas Blum / © N.N. (privat)
Pfarrer Andreas Blum / © N.N. ( privat )

Englische Fans verlassen nach dem verlorenen EM-Finale das Wembley-Stadion in London / © Christian Charisius (dpa)
Englische Fans verlassen nach dem verlorenen EM-Finale das Wembley-Stadion in London / © Christian Charisius ( dpa )
Quelle:
DR