DOMRADIO.DE: Wie stehen Sie zu dieser Debatte? Sollte es eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen geben?
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl (Mitglied im deutschen Ethikrat, Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin): Nur, wenn das zur Erreichung des Ziels zwingend erforderlich ist. Das Ziel ist, dass die Gruppe sich selber schützt und vor allen Dingen, dass sie besonders vulnerable Gruppen nicht mehr ansteckt. Mit Blick auf Ärztinnen und Ärzte wie auch auf Lehrerinnen und Lehrer scheint die erforderliche Immunität in dieser Population ausreichend gesichert zu sein. Wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe, liegen wir weit über 80 Prozent. Das reicht nach meinem Dafürhalten und nach dem Dafürhalten der Fachleute aus. Und es steigert sich ja noch.
In anderen Berufsgruppen kann das sein. Wenn also die Quote in der Berufsgruppe signifikant in besonderer Weise niedrig ist, etwa in Teilen der Pflege, wenn ich die Zahlen richtig interpretiere, dann ist eine Impfpflicht durchaus überlegenswert. Nochmals: Eine Impfpflicht kann nur letztes Mittel sein. Ich muss zunächst alles andere versuchen, um Menschen zur Impfung zu bewegen.
DOMRADIO.DE: Und in Deutschland gibt es ja eigentlich keine Impfpflicht, auch bei anderen Krankheiten, weil das das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Das würde dann ausgehebelt werden, oder?
Lob-Hüdepohl: Richtig, aber bei den Masern haben wir ja genau die andere Situation, dass es eine Impfpflicht gibt. Und zwar deshalb, weil die erforderliche Durchimpfungsrate viel höher ist als derzeit noch bei Sars-CoV-2 Die erforderliche Durchimpfungsrate bei Masern beträgt etwa 95 Prozent der Bevölkerung. Und hier haben wir ja seit einigen Jahren eine rechtlich sanktionierte Impfpflicht für alle besonderen Berufe, also insbesondere für die Schule, auch für den Bereich der Medizin. Und alle Schülerinnen und Schüler müssen sich impfen lassen.
Hier haben wir also eine strafbewehrte Impfpflicht zum Schutz der Gesamtbevölkerung, aber natürlich auch zum Schutz einzelner Personen. Das ist aber ein anderes Ziel. 95 Prozent Durchimpfungsrate sind deutlich mehr als derzeit 75 oder 80 Prozent nach der derzeitigen Lage. Und die erreichen wir auch ohne eine gesetzliche und damit vor allen Dingen auch strafbewehrte Impfpflicht für die allgemeine Bevölkerung, beziehungsweise für bestimmte Berufsgruppen.
DOMRADIO.DE: Haben Sie eine Erklärung dafür, dass es ausgerechnet bei Pflegekräften und medizinischem Personal eine hohe Zahl von Verweigern gibt? Das sind eigentlich Experten auf dem Gebiet, die viel mehr von den Risiken und auch von den Nebenwirkungen verstehen.
Lob-Hüdepohl: In der Tat, das wundert mich. Und zu dieser Verwunderung kann ich eigentlich gar nichts mehr ausführen. Gerade auch Pflegefachkräfte, die ja durch eine hohe Sensibilität ausgestattet sind. Es gibt in allen Berufsgruppen schwarze Schafe. Aber gerade die Pflege zeichnet sich ja durch eine hohe Empathie gegenüber den Personen aus, die gepflegt werden. Vielleicht sagen sie sich fälschlicherweise: Die sind ja geschützt. Also die älteren Menschen, die wir pflegen, sind ja hinreichend geschützt, weil die meisten von denen ja geimpft sind. Dennoch können sie sich immer nochmal infizieren, vielleicht nicht mehr allzu schwer erkranken, aber dennoch können erheblich belastende Situationen eintreten.
Auch jetzt ist das Risiko, dass sie durch die Pflegehandlung die bereits Geimpften dennoch infizieren, dennoch auch einer gesundheitlichen Beeinträchtigungen aussetzen, zu schwer zu erachten. Deshalb müssten sie sich eigentlich impfen lassen. Aber ansonsten verstehe ich schlicht insbesondere die Pflegefachkräfte nicht, die sich nicht impfen lassen. Möglicherweise sind es Menschen, die aus anderen Gründen hier eine bestimmte Reserve haben, weil sie der Auffassung sind: Wir sind sehr junge Menschen. Uns kann das Ganze nicht so viel anhaben und dergleichen. Da muss man nochmal ganz anders ansetzen mit einer Aufklärung auch dieser besonderen Personengruppe.
DOMRADIO.DE: Die Politik setzt ja jetzt auf Werbung und Kampagnen. Kann man damit Menschen überzeugen, sich impfen zu lassen, die dem Ganzen sehr kritisch und ablehnend gegenüberstehen?
Lob-Hüdepohl: Die, die generell Impfungen, nicht nur gegen Sars-CoV-2, sondern die allen Impfungen kritisch gegenüber stehen, das sind fünf oder sechs Prozent der Bevölkerung, sagen die Experten. Die wird man durch nichts überzeugen können. Die sind aber selbst gestraft dadurch, dass sie halt auf diesen Gesundheitsschutz verzichten. Das ist auch nicht mehr so wahnsinnig viel. Aber es gibt eben halt eine Gruppe von vielleicht 15 oder 20 Prozent - ich glaube schon, dass man sie mit einer guten Aufklärung, mit guten Argumenten tatsächlich für die Impfung nicht nur interessieren kann, sondern auch gewinnen kann. Und da sollte man nichts unversucht lassen, bevor man dann hinterher zu einer strafbewehrten Impfpflicht als letztes Mittel übergeht.
Dieses letzte Mittel sollte man nicht allzu schnell in in Erwägung ziehen, denn das ist natürlich auch Wasser auf die Mühlen der Skeptiker, die sagen: Schaut mal her. Der Staat verpflichtet euch jetzt noch dazu. Er traut euch kein eigenes Urteil mehr zu. Also insofern als letztes Mittel vielleicht. Aber vorher sollte man gerade über eine Kommunikationsstrategie, eine Werbestrategie, alles versuchen, diese Personen, die sich noch in Reserve befinden, vom Gegenteil zu überzeugen.
Das Intervew führte Michelle Olion.