Sie stehen in lockeren Grüppchen zusammen, als hätten sie sich soeben versammelt, die Augen geschlossen, als hörten sie konzentriert zu. Lauter Könige und Königinnen, geschnitzt aus grobem Eichenholz, alle tragen eine goldglänzende Krone - auf dem Kopf oder in der Hand.
Manche von ihnen sind klein wie eine Kaffeetasse, andere gut einen halben Meter groß. Die Königinnen tragen ein schlichtes weißes Kleid, die Könige ein weißes Hemd zu schwarzer Hose. Allen gemeinsam ist ein freundliches, etwas naives Lächeln, bei manchen nachdenklich, bei anderen fröhlich.
Geschaffen hat sie der Bonner Diakon Ralf Knoblauch. Für ihn geht es dabei vor allem um eins: das Thema Würde. Königswürde, Menschenwürde, die Würde jedes Einzelnen. "Das hat sich wie von selbst ergeben, bei zufälligen Begegnungen mit den verschiedensten Menschen, dass sich ausgehend von der Königsfigur gute, tiefe Gespräche über Themen der Würde ergeben haben", sagt der 56-Jährige.
Den ersten König hat Knoblauch vor 19 Jahren aus einem Stück Treibholz auf einem Campingplatz am Strand einer kroatischen Insel geschlagen. Für den gelernten Tischler, der später Theologie und Psychologie studierte, ist die Arbeit am Holz eine spirituelle Angelegenheit. "Eine Art der Meditation, oder sogar des Gebets", sagt er. Aus der einmaligen Campingplatz-Aktion entstand so ein Alltagsritual: Jeden Tag gehört die Morgenstunde zwischen fünf und sechs Uhr seinen Königen. "Für mich ist das eine Art, die Erlebnisse zu verarbeiten, die ich in meinem Alltag und in der Begegnung mit Menschen und ihren Schicksalen mache."
Als Diakon in der Kirchengemeinde Thomas Morus im Bonner Nordwesten trifft er täglich auf Menschen in schwierigen, bisweilen prekären Lebenssituationen. Arbeitslosigkeit und Hartz IV, Probleme in der Familie, Obdachlosigkeit, Flüchtlingsschicksale. Hoffnungslosigkeit.
Nicht nur ein Ventil für ihn selbst
Die Könige sind nicht nur ein Ventil für ihn selbst - auch bei seiner täglichen Arbeit spielen sie eine wichtige Rolle. "Wenn ich eine Familie in Bonn-Tannenbusch besuche, der es nicht gut geht, und ich stelle den König auf den Küchentisch, dann verändert sich das Gespräch sofort", sagt Knoblauch. Oft seien das sehr emotionale Momente, kämen bei den Menschen Erinnerungen und Gefühle hoch.
So war es auch, als Andreas Schwarz zum ersten Mal mit den Königen in Berührung kam. Der 53-Jährige, der seit seiner Kindheit mit einem schweren Trauma und seit vielen Jahren mit einer Suchtproblematik kämpft und zeitweise auf der Straße lebte, leistete zu diesem Zeitpunkt Sozialstunden in der Pfarrgemeinde von Knoblauch ab. Er fand in der Gemeinde einen festen Anlaufpunkt - und im Diakon einen Freund.
"Darüber habe ich dann mitbekommen, dass Herr Knoblauch die Könige schnitzt. Ich fand das toll und hab die Message auch sofort verstanden", erinnert er sich. "Jeder Mensch sollte ein König sein und eine Krone auf dem Kopf haben. Alle sind gleich, keiner besser oder schlechter. Jeder hat schonmal Bockmist gebaut, und eigentlich versuchen alle, es gut zu machen. Aber manchen Menschen geht es so schlecht, die können es nicht gut machen."
Schwarz spricht aus Erfahrung. "Ich kenne viele gestrandete Leute, die auf der Straße leben, süchtig sind", sagt er. "Ich dachte, ich kann mich da einbringen bei den Königen." Von Knoblauch bekommt er eine eigene Königsfigur. "Das war das wertvollste, was ich je besessen habe", sagt Schwarz.
Er hat eine herzliche Art und ein offenes Lachen, spricht schnell, manchmal verheddert er sich kurz in den Worten und der Vergangenheit.
Beim Thema Könige aber ist er fokussiert. "Ich habe meinen König mitgenommen, auf die Straße zu den Leuten. Hab versucht, ihnen die Botschaft rüberzubringen." Er macht Fotos von den Menschen mit seinem König, als Postkarte landen sie später wieder bei den Fotografierten.
Bei vielen kommt die Initiative gut an. Andere können wenig damit anfangen. Aber ihm macht die Sache Spaß, sie fühlt sich sinnvoll an.
Doch dann wird ihm sein König geklaut. "Das war eine Tragödie für mich", sagt Schwarz und blickt zu Boden. Nun will er selbst aktiv werden und eine Königsfigur aus Speckstein schnitzen. Begonnen hat er noch nicht, aber der Plan gefällt ihm, macht Hoffnung.
Die Könige sind auf der Welt verteilt
Nicht nur in Bonn haben viele Menschen bereits die Begegnung mit den kleinen Königen und Königinnen gemacht. An 350 Orten auf allen Kontinenten sind die "Würdenträger" inzwischen beheimatet. In der Migrantenseelsorge in Dubai und Abu Dhabi, bei einer Kirchengemeinde in Aleppo, bei Streetworkern in Peru; einer reist gerade zur anstehenden Weltklimakonferenz nach Glasgow, zwei weitere begleiten die Seenotretter von Sea Eye auf ihren Schiffen. Auf der "Alan Kurdi" hat der kleine König sogar einen Platz auf der Brücke.
"Die Könige sind keine Deko-Objekte, ich bin kein Künstler, mir geht es um die Botschaft, die sie mit sich tragen sollen", betont Knoblauch. Dabei ist es nicht nur eine Botschaft, es sind gleich mehrere, die die Könige schultern sollen. Dem Diakon geht es um die Unantastbarkeit der Menschenwürde, ebenso wie um die Würde der Schöpfung und die "Gleichwürdigkeit von Mann und Frau, grade auch in der Kirche", sagt er. "Meine Könige sind alle aus einem Holz geschnitzt."
Aus einem Holz - und zwar aus rund 300 Jahre altem Eichenholz, das früher einmal in einem Fachwerkhaus in Bonn-Lessenich verbaut war.
Die Balken liegen aufgestapelt im Pfarrgarten hinter dem Pfarrhaus Sankt Laurentius, das Knoblauch mit seiner Frau und den drei erwachsenen Kindern bewohnt. Eine einfache Skizze, sagt er, habe er im Kopf, wenn er anfängt: ob aus dem Holz ein König oder eine Königin werde und wo die Krone hinkomme.
Dann beginnt er. Mit einem Klüpfel, einem einfachen Holzhammer und scharfem Bildhauerwerkzeug, schlägt er einen regelmäßigen Takt in das harte Holz, dicke Splitter und Holzstückchen fliegen in alle Richtungen. Die Könige entstehen aus groben Holzbalken, rau, rissig, gespickt mit rostigen Nägeln. Und genau so will Knoblauch sie auch haben, wenn er sich einen heraussucht und ihn auf seine improvisierte Werkbank im Garten legt. "Die Risse im Holz, die Macken, die Kanten - das alles sollen die Menschen auch dann noch spüren, wenn die Könige fertig sind."