Erzbischof Schick entsetzt über Anschlag in Afghanistan

"Wir Christen dürfen uns nicht rächen"

Auch wenn die deutsche Evakuierung aus Afghanistan vorerst beendet ist, plädiert Erzbischof Ludwig Schick dafür, alle diplomatischen und politischen Wege zu nutzen, um gefährdete Menschen zu retten. Rachegedanken erteilt er eine Absage.

Wann kommt Afghanistan zur Ruhe? / © Ryanzo W. Perez (shutterstock)
Wann kommt Afghanistan zur Ruhe? / © Ryanzo W. Perez ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Was empfinden Sie, wenn Sie die Bilder aus Kabul sehen?

Erzbischof Ludwig Schick (Vorsitzender der Kommission Weltkirche bei der Deutschen Bischofskonferenz und Erzbischof von Bamberg): Das zerreißt mir das Herz. Die Menschen, die da schon lange gewartet haben und wegwollen, die Soldaten, die ihnen helfen wollen, werden durch solch brutale Terroranschläge getötet, verletzt und es bricht ein noch größeres Chaos aus, als es schon ist. Unbegreiflich!

DOMRADIO.DE: Was bedeutet die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan für Andersgläubige, aber auch für die Muslime in dem Land, die ihren Glauben friedlich leben?

Schick: Sie sind in Gefahr, wenn die Taliban ihre Herrschaft durchsetzen und alle, die eben nicht ihre Auffassung von Gott, Glauben und Leben haben. Sie werden - egal ob Christen oder Muslime - verfolgt werden. Wir müssen weiter hoffen, dass es doch vielleicht besser wird und auch versuchen, den religiösen Dialog mit ihnen aufzunehmen. Wenigstens das.

DOMRADIO.DE: Haben Sie denn Hoffnung, dass die Taliban moderater geworden sind?

Schick: Vielleicht sind sie es. Ich hoffe es. Aber man muss auch damit rechnen, dass sie, wenn sie die Herrschaft vollständig übernommen haben, auch wieder so agieren, wie sie vor 2001 agiert haben. 

DOMRADIO.DE: Jetzt hat US-Präsident Joe Biden Rache nach dem Anschlag vom 26. August angekündigt. Was sagen Sie als Erzbischof zum Thema Rache?

Schick: Da fällt mir zunächst ein Wort aus der Bibel ein: Mein ist die Rache, spricht Gott. Wir Christen dürfen uns nicht rächen. Wir müssen auf Versöhnung und Frieden aus sein und immer die Hoffnung bewahren, dass es doch möglich wird, eine bessere Zukunft im Dialog und im Miteinander zu erreichen. Rache setzt nur neue Feindschaften in Gang, und die Situation kann nur noch schlimmer werden.

DOMRADIO.DE: Die Bundesregierung, insbesondere Angela Merkel, hat ihre Fehleinschätzung zu dieser Situation eingeräumt. Haben Sie dafür Verständnis? Ist das genug?

Schick: Es ist wichtig, dass jetzt der ganze Afghanistan-Einsatz von Deutschland her, aber auch von der NATO und von den USA, gründlich untersucht und aufgearbeitet wird. Die Einschätzungen in den letzten Wochen sind sicher falsch gewesen. Aber wenn wir auch in Zukunft solche Einsätze für den Schutz von bedrohten Menschen, für Frieden und Fortschritt machen wollen, dann muss man jetzt gründlich aufarbeiten und dann auch gute Rückschlüsse ziehen für weitere solche Einsätze. So wie es jetzt war, darf es nicht nochmal gehen.

DOMRADIO.DE: Es sitzen immer noch viele Ortskräfte in Afghanistan fest, die über viele Jahre der deutschen Bundeswehr geholfen haben und scheinbar eben nicht mehr herauskommen. Inwiefern können wir Ihnen in dieser schweren Zeit beistehen?

Schick: Wir müssen zunächst noch einmal über alle diplomatischen und politischen Kanäle versuchen, dass diese Menschen doch noch herauskommen. Auch wenn jetzt der offizielle Einsatz dieser Friedens- oder Flugbrücke der bisherigen NATO-Partner Deutschlands zu Ende geht. Es wird ja möglich sein, dass auch Flugzeuge nach Kabul fliegen und von dort auch wieder abfliegen.

Es muss weiterhin alles versucht werden, dass diese Leute herauskommen. Wir haben eine moralische Verpflichtung. Diese Menschen sind höchst gefährdet. Natürlich können wir jetzt auch für sie beten und hoffen, dass die Herzen auch der Taliban sich bekehren und dass diese Menschen doch auch innerlich Frieden und Trost finden und jedenfalls durchhalten.

Das Interview führte Carsten Döpp.


Erzbischof Ludwig Schick / © Julia Steinbrecht (KNA)
Erzbischof Ludwig Schick / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Die Hand eines toten Afghanen nach dem Anschlag am Kabuler Flughafen / © Wali Sabawoon (dpa)
Die Hand eines toten Afghanen nach dem Anschlag am Kabuler Flughafen / © Wali Sabawoon ( dpa )
Quelle:
DR