Alle sieben Jahre liegen nach jüdischer Tradition Felder brach

Problem oder Problemlösung?

Felder regelmäßig brachliegen zu lassen, war einst verbreitet. In Israel sorgt das religiös geforderte Sabbatjahr alle sieben Jahre neu für Diskussionen. Dabei böte es durchaus Antworten auch für manch modernes Problem.

Autor/in:
Andrea Krogmann
Alle sieben Jahre liegen nach jüdischer Tradition Felder brach / © Sven Hoppe (dpa)
Alle sieben Jahre liegen nach jüdischer Tradition Felder brach / © Sven Hoppe ( dpa )

Man könnte es göttliche Enteignung nennen - oder aber das öffentliche Eingeständnis des Menschen, dass aller irdische Besitz letztlich vergänglich ist. Die Rede ist von der "Schmittah", jenem Sabbat- und Erlassjahr, in dem nach jüdischer Tradition alle sieben Jahre Felder brach liegen und Schulden erlassen werden müssen.

Am 6. September ist es wieder soweit. Mit Sonnenuntergang beginnt das jüdische Neujahrsfest "Rosch Haschana" - und mit ihm das Schmittah-Jahr 5782. Die Strafen, die der Talmud bei Verstößen androht, sind heftig: Pest und Exil sollen über Sabbatjahr-Brecher kommen.

Ursprung im Buch Exodus

Seinen Ursprung hat das Ruhejahr in der Bibel. "Sechs Jahre kannst du in deinem Land säen und die Ernte einbringen; im siebten sollst du es brachliegen lassen und nicht bestellen", heißt es etwa im Buch Exodus. Was in Zeiten industrieller Landwirtschaft exotisch erscheinen mag, war bis zum Beginn der modernen Landwirtschaft kein jüdisches Alleinstellungsmerkmal. Mehrfelderwirtschaft war seit der Antike verbreitet zur Erholung der Felder - wenn auch nicht in symbolischen Abständen von sieben Jahren.

Religiöse Interpreten sehen viele Gründe für die Schmittah: Sie sei die öffentliche Proklamierung Gottes als Eigentümer der Erde, formulieren manche. Der Besitz als Geschenk des Schöpfers, das er uns alle sieben Jahre entzieht. Freigeben oder loslassen wäre in diesem Sinne das Wort, das die Bedeutung der schwer übersetzbaren Schmittah am ehesten trifft. Das Vertrauen in Gott solle gestärkt, dem Arbeiter Zeit für das Thora-Studium gegeben werden, interpretieren andere.

Heftige Bürde für landwirtschaftlich geprägten Staat

Zwei weitere Elemente scheinen heute besonders modern und vielleicht dringender denn je: nicht das Letzte aus der Erde, dem Arbeiter und dem Kapital rauszuholen; in regelmäßigen Abständen die Fehler der sozioökonomischen Hierarchie zugunsten von mehr sozialer Gerechtigkeit zu korrigieren. Ein Jahr lang darf kein Geschäft mit den Früchten der Erde gemacht werden. Stattdessen darf sich bedienen, wer es braucht.

Einig sind sich die Forscher heute, dass die Schmittah in Reinform nie praktiziert wurde; nicht zuletzt, weil die Vorschrift nur für das Land Israel gilt. Was während 2.000 Jahren eine theologische Expertendiskussion war, wurde erst mit der Rückkehr in biblische Gefilde zum praktischen Problem. Der junge Staat Israel war stark landwirtschaftlich geprägt, eine landesweite Brache damit eine heftige Bürde.

Land für ein Jahr an Nichtjuden verkaufen

Überlegungen, wie die strikte Ackerruhe religionsrechtlich zulässig zu umgehen sei, ließen nicht auf sich warten - und machten aus dem Ruhejahr eine streitbare Angelegenheit. Keine potenzielle Lösung findet bei allen Anklang. Während manchen der Kauf von arabischen oder importierten Produkten zu wenig nationalistisch ist, halten vor allem strenggläubige Juden die verbreitete Lösung für unkoscher, das Land für das Jahr an Nichtjuden zu verkaufen, um es weiter bestellen zu können. Kompensationsprogramme der Regierung, die einen Anreiz für echte Brache liefern sollen, gehen wieder anderen am Sinn der Sache vorbei.

In einer Frage aber scheint man sich einig: Vergleichbare Lösungen gibt es für den Gartenbau nicht. Obwohl es im modernen Israel keine zivilrechtliche Verpflichtung zur Schmittah gibt, halten sich viele öffentliche Einrichtungen an das Pflanz- und Unterhaltsverbot - laut einem Bericht der Zeitung Haaretz zum Leidwesen von Landschaftsarchitekten und Aktivisten, die einen Pflanzstopp in Zeiten des Klimawandels vor allem im urbanen Milieu für ein Desaster halten.

Bauliche Großprojekte verschärfen Problematik

Bei allem Respekt für die Tradition gehe es bei der Begrünung von Städten um "Leben und Tod", sagte der am Haifaer Technion lehrende Landschaftsarchitekt Schachar Tsur der Zeitung. Bäume seien das wichtigste Mittel, um Hitze in Städten zu reduzieren; und damit heute ein Teil der Infrastruktur.

Verschärft wird die Problematik durch bauliche Großprojekte wie die Straßenbahnen in Tel Aviv und Jerusalem, aber auch durch enorme Schäden, die etwa die jüngsten Waldbrände im Großraum Jerusalem anrichteten. Die Wiederaufforstung wird warten müssen, nach Angaben des Jüdischen Nationalfonds jedoch aus ökologischen Überlegungen. Man strebe eine "Orientierung an den natürlichen Prozessen" an, weshalb Brandflächen mindestens ein Jahr nicht betreten werden, bevor der Zustand des Ökosystems bewertet wird, erklärte die Organisation gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Bis dahin ist die Schmittah 5782 Geschichte.


Tiefreligiöse Juden in Israel / © Oliver Weiken (dpa)
Tiefreligiöse Juden in Israel / © Oliver Weiken ( dpa )

Schofar blasen / © Harald Oppitz (KNA)
Schofar blasen / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA
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