"Der Krieg hat den bösen Ruf, er sei Hoch-Zeit des Hasses. Er ist auch eine Hoch-Zeit der Liebe." Als der katholische Bischof von Speyer, Michael von Faulhaber, am 9. August 1914 deutsche Soldaten im dortigen Dom empfing, rühmte er den Krieg als Erzieher und Überwinder sittlichen Verfalls. So wie der spätere Münchner Kardinal und mutige Hitler-Gegner begrüßten viele katholische Bischöfe und Priester den Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Sommer 1914.
Die Kirchen in Deutschland beteiligten sich weithin am nationalen Taumel und sprachen nicht für den Frieden, schreibt der Kieler Theologe und Publizist, Martin Lätzel, in seinem gerade erschienenen Buch "Die Katholische Kirche im Ersten Weltkrieg". Besonders im ersten Kriegsjahr hätten die Geistlichen den Krieg als eine Offenbarung Gottes beschrieben, durch die er sein Volk zur Umkehr bewegen wolle.
Krieg als "Weckruf der sittlichen Volkskraft": Plötzlich waren die Kirchen wieder voll. Das religiöse Leben der Katholiken an der Front und in der Heimat nahm einen ungeahnten Aufschwung. "Wir waren durch die lange Friedenszeit etwas verwöhnt", predigte der stark soldatisch geprägte Faulhaber und sprach von "Leichenflecken der sittlichen Entartung". "Wenn die Kriege lange ausbleiben, dann beginnen gewöhnlich die Kriege im Volksleben, die Palastrevolutionen im Familienleben."
Die Friedensbotschaft des Evangeliums wurde fast völlig überdeckt, wie es etwa eine Postkarte der damaligen Zeit auf den Punkt bringt: Deutsche Soldaten zielen aus dem Schützengraben auf den Feind - ermutigt von einer leuchtend weißen Jesus-Figur, die ihnen verspricht: "Siehe, ich bin bei Euch alle Tage." Der Soldatentod für Deutschland wurde in Bezug gesetzt worden mit dem Opfertod Christi für die Menschheit, schreibt Lätzel. Bei den Kriegsgegnern wurde ähnlich argumentiert.
Lätzel beschreibt ein Paradox: Die deutschen Katholiken, die sich seit dem Kulturkampf in den 1870er Jahren als Bürger zweiter Klasse empfanden, sahen den Krieg als Möglichkeit, sich als echte Deutsche darzustellen. Sie wollten sich vom Verdacht der Romhörigkeit entlasten und Papst und Kaiser gleichzeitig Loyalität bekunden.
Er frage sich mich "mit einer gewissen Empörung", warum Katholiken so national gedacht und gehandelt hätten, so der Autor in einem Interview. "Eigentlich hätten sie einer Katholizität verpflichtet sein müssen, die sie mit Franzosen oder Belgiern verbunden hätte." Die Kirchen ließen sich stattdessen auch einspannen, um die Unterstützung der Heimatfront sicherzustellen. Gottesdienste, aufrüttelnde Predigten, Spendenaufrufe und Glockenabgaben: Das alles sollte die nationale Solidarität und die Opferbereitschaft stärken.
Eine Rechtfertigung lieferte die kirchliche Lehre vom gerechten Krieg. Faulhaber sprach vom "heimtückischen Überfall unserer Feinde". Von einem Kreuzzug gegen das laizistische Frankreich oder das materialistische England war in Predigten die Rede.
Der "Hurra-Patriotismus" von 1914 ließ schnell nach - auch bei den Kirchen. Spätestens angesichts der Schützengräben von Verdun 1916 wurden Kirche und Gesellschaft immer kritischer. Lätzel verdeutlicht das an Matthias Erzberger. Als katholischer Zentrumspolitiker war auch er zunächst vom Krieg begeistert; im Kontakt mit dem Vatikan stehend, schwenkte er jedoch zunehmend auf einen kritischen Kurs ein.
Positiv würdigt Lätzel Papst Benedikt XV. Zwar verliefen seine Friedensinitiativen weithin im Sand. Das Kirchenoberhaupt habe allerdings von Anfang den Krieg als "entsetzlichen Wahnsinn" verurteilt. Erfolgreich wirkte der Papst beim Aufbau eines Netzwerks humanitärer Hilfen, insbesondere für Kriegsgefangene.
Nach Überzeugung Lätzels hat der Zusammenbruch des Kaiserreichs auch zu einem Modernisierungsschub des deutschen Katholizismus geführt. Das stark monarchisch geprägte Kirchenbild verlor an Glanz. Gestärkt wurden Bewegungen, die von einem neuen Selbstbewusstsein der Laien geprägt waren, etwa Jugendverbände, Vereine oder die liturgische Bewegung. Fragen der Moderne und der Demokratie brachen sich auch in der innerkirchlichen Diskussion Bahn. (KNA)