Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat bestimmte Entwicklungen in identitätspolitischen Debatten über Rassismus und Gender scharf kritisiert. Es gebe "Radikalisierungen des Diskurses, die eher die Konfrontation verschärfen" und "das Leben von Gemeinsamkeiten erschweren", sagte Thierse im Deutschlandfunk.
Thierse kritisiere zwar auch identitätspolitische Diskurse von rechts, doch sehe er in den Diskursen von links ein Erstarken der "Cancel-Culture". Damit ist ein öffentliches Anprangern von Einzelnen oder Institutionen nach Aussagen oder Taten gemeint, die die Kritiker als diskriminierend oder als anderweitiges Fehlverhalten werten. Thierse hält dies für "demokratiefeindlich".
Auch die Umbenennung von umstrittenen Straßennamen sehe er kritisch. Zudem sei das "Blackfacing" ein "elementarer Teil von Kulturgeschichte". Von Blackfacing spricht man, wenn sich Weiße schminken, um Schwarze darzustellen; Kritiker sehen darin eine stereotype Darstellung und Degradierung von Hautfarbe zur Verkleidung. "Kulturelle Aneignung über Hautfarben und ethnische Grenzen hinweg muss möglich sein", betonte Thierse.
Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter erntete Thierse viel Kritik, aber auch Anerkennung. Der Historiker und Nahostwissenschaftler Zuher Jazmati twitterte: "Wolfgang Thierse spricht im @DLF über #Identitätspolitik und agiert mit zweierlei Maße: Straßennamen, die die DDR verherrlichen, gehören abgeschafft. Aber für die Proteste für die Umbenennung der M-Straße hat er kein Verständnis." Somit zeige Thierse Verständnis für DDR-Bürgerrechtsaktivistinnen- und aktivisten, die aus einer "(weißen) Betroffenheit" gesprochen hätten. "Warum gilt das nicht für Schwarze Menschen? Ist ihre Betroffenheit weniger relevant?", so Jazmati. Andere lobten Thierses Beitrag. (dpa, 25.02.2021)