Mit sechs Jahren kam Ilija Trojanow nach Deutschland. Seine Familie war aus dem kommunistischen Bulgarien geflohen. Zuerst musste er Deutsch lernen. Dann - einige Jahre später - entdeckte er die Romane von Heinrich Böll und war begeistert. "Die Bücher waren deswegen auch für mich so beeindruckend, weil es eine völlig unbekannte Welt war", erzählt der Autor. "Das habe ich noch vor dem inneren Auge, dieses vom Krieg zerstörte Köln, dieser Kampf um die letzten Reste Würde, die zusammengekratzt werden aus einer eigentlich völlig kontaminierten Biografie und einer völlig daniederliegenden Gesellschaft. Das war enorm eindrücklich".
"Gewitzte Pointen machen die moralisch eindeutige Haltung erträglich"
Der Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll wird oft als Autor einer vergangenen Epoche bezeichnet, ein Nachkriegsschriftsteller des 20. Jahrhunderts sei er, der uns heute nicht mehr viel zu sagen habe, heißt es. Ilija Trojanow sagt, die Verleihung des Böll Preises habe auch zur Folge, dass er jetzt erneut die Bücher von Heinrich Böll lese und dabei ganz neue, spannende Erfahrungen mache: "Es steht ja überall, er sei ein Moralist und er sei ein Katholik, der ständig mit dem institutionalisierten, hierarchisch-organisierten Katholizismus hadert", stellt Trojanow fest. "Was aber übersehen wird, und das hat vielleicht auch etwas mit dem deutschen Grundwesen zu tun, Heinrich Böll hat einen ziemlichen bissigen Humor. Er hat immer wieder so sarkastische Pointen, die sehr gewitzt sind und die seine eindeutig dominante, ethisch-moralische Haltung dann erträglich machen". Diese ethisch-moralische Haltung ist es auch, die viele Menschen an Heinrich Böll stört. Da wird dann heftig kritisiert, dass beim Gutmenschen Böll viel zu sehr die Moral aus seinen Romanen triefe. "Diese Haltung stört uns heute ja viel mehr als vergangene Generationen", sagt Trojanow, "und das ist hochinteressant. Wenn man in der Literaturgeschichte zurückgeht, gab es durchaus Zeiten, wo man diese moralische Haltung erwartet hat. Der viktorianische Romancier mußte zum Beispiel moralische Haltung zeigen, und wenn er das nicht getan hat, wurde das damals als schlechte Literatur verteufelt".
´Gutmensch´als Diffamierungsbegriff zeigt Hybris unserer Zeit
Ilija Trojanow kann nur mit dem Kopf schütteln, wenn er hört, wie viele Menschen Heinrich Böll als einen Gutmenschen abtun, wie überhaupt der Begriff ´Gutmensch´ zu einem geflügelten Wort geworden ist, mit dem man moralisch engagierte Menschen lächerlich macht und diffamiert. "Das ist ein Ausdruck der Hybris unserer Zeit, dass ´Gutmensch´ der große Diffamierungsbegriff geworden ist", sagt Trojanow. "Vor allem ist ja völlig evident, nichts ist einfacher als schwarzsehen. Man muss nur die Augen zumachen. Wenn jemand versucht, Momente der Hoffnung und der Erlösung zu formulieren und das dann diffamiert wird, fällt es doch auf diejenigen zurück, die das tun". Ilija Trojanow bezeichnet sich selbst als einen politisch engagierten Autor –ähnlich wie Heinrich Böll. In der Begründung der Jury zur Verleihung des Böll Preises 2017 an Trojanow heißt es auch: „Kaum ein anderer Schriftsteller setzt das politische Engagement von Heinrich Böll so konsequent und literarisch ambitioniert fort wie Ilija Trojanow". Der Autor selbst sagt aber auch, dass seine Bücher keine politischen Ratgeber seien, mit festgeschriebenen Regeln und Handlungsanweisungen. "Meine Bücher versuchen, die Komplexität der Verhältnisse gegen die Vereinfachung der herrschenden Meinung zu verteidigen", sagt er. So erzählt Trojanow in seinem neuen Buch mit dem Titel ´Nach der Flucht´ von der Situation der Flüchtlinge und den nachhaltigen, durchaus auch positiven Folgen, die eine Flucht, so wie er sie selbst erlebt hat, haben kann. Er gibt mit seinem Beispiel den Flüchtlingen eine differenzierte Stimme und wendet sich damit gegen die kurzatmigen Parolen, mit denen heute alles in drei Twitter-Zeilen passend gemacht wird. "Uns wird doch ständig ein Zerrbild der Realität vorgesetzt", sagt der Autor, "in der Politikersprache, in den Medien, in dem, was ´als im Moment wahr´ gilt. Und das hat mit den extrem vielfältigen individuellen, gebrochenen Verhältnissen wenig zu tun. Das heißt, die Aufgabe eines politischen Autors ist zunächst einmal, die Vielfalt zu Wort kommen zu lassen und die Komplexität sichtbar werden zu lassen".