"Böll ist in einem sehr gläubigen Elternhaus aufgewachsen", erzählt Professor Ralf Schnell. Schon während des Krieges lebt Böll in der Gewissheit, dass – wie er schreibt – Gott ihn im Auge habe und behüte. Als Gymnasiast nimmt der spätere Literaturnobelpreisträger an einem Gesprächskreis um den Kölner Pfarrer Robert Grosche teil. Hier begeistert er sich für die Literatur von Paul Claudel und besonders von Leon Bloy, einem radikal konservativen Katholiken des renouveau catholique. "Das muss ein sehr intensiver Gesprächskreis gewesen sein", erzählt Professor Schnell, "mit einer großen Vertrautheit, Offenheit, ja auch mit einem bestimmten Selbstbewußtsein im Glauben, dass man sich jetzt etwas erarbeiten könne in der Auseinandersetzung mit aktuellen Themen und Autoren".
Böll sieht den christlichen Glauben auch als ein Gegengift gegen den Nationalsozialismus – wie überhaupt der christliche Glaube und das eigene Gewissen für ihn stets die einzigen Ratgeber waren und ihn gegen Ideologien immun gemacht haben. "Das hat ihn geprägt, das hat ihn gefestigt, das hat sein ganzes Leben wie ein Leitmotiv beeinflusst", sagt Professor Schnell. So hat sich Böll nie einer Institution oder Partei angeschlossen. Er habe sich nie in einer Gruppe einbinden lassen, betont Schnell: "Böll blieb immer ein Einzelkämpfer und bezeichnete sich auch so".
Warum Böll aus der Kirche ausgetreten ist
1976 ist Heinrich Böll aus der katholischen Kirche ausgetreten. "Aus der Körperschaft der katholischen Kirche und nicht aus dem Körper", zitiert Professor Schnell den Kölner Autor. Damit hat sich Böll speziell gegen den damaligen deutschen Katholizismus gewandt. "Wenn ich Schwede wäre, Engländer, Italiener, Franzose, Pole, Ungar oder Norweger, hätte ich das nie getan", sagt Böll später in einem Interview. "Unmöglich fand er an der katholischen Kirche der damaligen Zeit", beschreibt Professor Schnell Bölls Geisteshaltung, "die Staatsnähe des deutschen Nachkriegskatholizismus, die Nähe insbesondere zur Christliche Demokratischen Union und insbesondere auch zur Person des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer".
Heinrich Böll kritisierte, dass selbst bei der Beerdigung Adenauers hohe Offiziere mit Ritterkreuzen die Ehrenwache hielten. (Die Hakenkreuze darin hatte man herausgekratzt.) Die Organisation des Staatsbegräbnisses hatte Hans Globke übernommen, Adenauers engster Vertrauter, der in der Nazizeit die NS-Rassengesetze mitverfasst hatte. Nazis standen also beim Aufbau der Bundesrepublik Deutschland in der ersten Reihe. Von einer Aufarbeitung der Hitler-Diktatur und des Holocaust gab es unter Adenauer keine Spur. Bölls Kirchenaustritt hatte mit der unbedingten Solidarität der deutschen katholischen Kirche für Adenauer zu tun - nicht mit seinem christlichen Glauben.
"Böll hätte sich im Geiste von Papst Franziskus geäußert"
"Heinrich Böll glaubte", so erzählt Professor Schnell weiter, "an die franziskanische Utopie, an die von Jesus geforderte Solidarität mit den Armen und Schwachen". In Köln war der Literaturnobelpreisträger dabei, als das Politische Nachtgebet ökumenisch ins Leben gerufen wurde. Dorothee Sölle, die daran maßgeblich beteiligt war, bezeichnete ihn später als einen ihrer geistigen Väter. Professor Ralf Schnell vermutet, dass Heinrich Böll heute von Papst Franziskus begeistert wäre. "Böll hätte sich angesichts der Ungerechtigkeit, der ungerechten Verteilung der Güter in der Welt, der nach wie vor bestehenden Armut, der Fluchtbewegung unserer Tage im Geiste eines Franziskus geäußert. Er wäre sich treu geblieben in seiner scharfen und radikalen Kritik", sagt der Böll-Experte Professor Schnell.