Er war eine Ikone der katholischen Kirche in Brasilien. Paulo Evaristo Arns, prominenter Befreiungstheologe, Menschenrechtler und Erzbischof von Sao Paulo, der an diesem Dienstag (14. September) 100 Jahre alt geworden wäre, hatte ein sehr langes und erfülltes Leben - und doch war sein Tod 2016 mit 95 Jahren ein Verlust für das Riesenland.
Während der Militärdiktatur in Brasilien (1964-1985) protestierte Arns gegen die Verbrechen des Regimes. Der deutschstämmige Franziskaner zählte wohl zu den bestinformierten Menschen im Land. Er wusste, wo gefoltert und gemordet wurde; er versteckte Verfolgte - und stellte Militärs mutig zur Rede. Ein Redeverbot war die Folge.
Projekt "Brasil: Nunca Mais" (Nie wieder)
Schon in den frühen 80er Jahren startete und leitete der furchtlose Bischof das Projekt "Brasil: Nunca Mais" (Nie wieder) über die Diktaturverbrechen. Er sammelte heimlich Dokumente, und 1985, kurz nach Ende der Diktatur, wurden die Ergebnisse in Buchform veröffentlicht. Sie gelten bis heute als die ausführlichste Aufarbeitung der Bluttaten im Namen von Brasiliens Staatsapparat.
Seit dem Übergang zur Demokratie mobilisierte Arns Kirche und Sozialbewegungen gegen Ungerechtigkeit, Folter und unmenschliche Arbeitsbedingungen. Bei Demonstrationen für die Menschenrechte stand er häufig in der ersten Reihe. 1992 war Arns in der Dominikanischen Republik in einen Unfall mit bis heute nicht eindeutig geklärter Ursache verwickelt. Er selbst sagte stets, dass er den Unfall als Attentatsversuch ansehe. Schließlich mussten nicht wenige Bischöfe im Lateinamerika jener Jahre ihren Einsatz für die Menschenrechte mit dem Leben bezahlen: Oscar Romero in Nicaragua, Juan Gerardi in Guatemala, Enrique Angelelli in Argentinien.
1921 im südbrasilianischen Forquilhinha geboren, trat der Sohn deutscher Einwanderer bereits mit 18 Jahren in den Franziskanerorden ein; später studierte er an der Pariser Sorbonne. 1970 machte ihn Papst Paul VI. mit nur 49 Jahren zum Erzbischof von Sao Paulo und 1973 zum Kardinal. Mit Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. war Arns der letzte verbliebene Kardinal, der noch von dem Konzilspapst ernannt worden war.
Kinderpastoral der brasilianischen Kirche
1985 rief Arns gemeinsam mit seiner Schwester, der Kinderärztin Zilda Arns Neumann, die äußerst populäre Kinderpastoral der brasilianischen Kirche ins Leben. Zildas tragischer Tod bei einem Erdbeben auf Haiti 2010 nahm der brasilianischen Nation quasi ihre Mutter.
Auch Konflikten mit Rom ging der streitbare Kardinal nicht aus dem Weg. So forderte er schon früh, mit Blick auf den wachsenden Priestermangel den Pflichtzölibat für katholische Priester neu zu hinterfragen. Es handele sich um ein historisch bedingtes Kirchengesetz ohne biblische Verankerung.
1998 nahm Johannes Paul II. Arns' Amtsverzicht als Erzbischof aus Altersgründen an. Der Papst aus Polen schätzte seinen Mut und sein soziales Engagement, weniger aber seine Nähe zur Befreiungstheologie, hinter der er stets den Sozialismus witterte.
Unzählige weltliche Auszeichnungen
Von einem Ruhestand konnte freilich keine Rede sein. Arns schrieb weiter Bücher, erreichte über das Radio viele Menschen mit seinen Botschaften. Der höfliche ältere Herr, der er war, zeigte den Mächtigen dennoch stets die Zähne, wies Korruption, Vetternwirtschaft und Verschwendung nach.
Arns erhielt ungezählte weltliche Auszeichnungen durch Vereinte Nationen, Regierungen und Menschenrechtsorganisationen. Rund zwei Dutzend Universitäten in der ganzen Welt verliehen ihm Ehrendoktorwürden. Seine letzten Lebensjahre verbrachte der Kardinal zurückgezogen in einer franziskanischen Gemeinschaft in Taboao da Serra im Großraum Sao Paulo, wo er sich unter anderem der Lektüre und Übersetzung religiöser Texte widmete. Sein Tod hinterließ eine bleibende Lücke.