Neue Jahresausstellung des Kunstmuseums Kolumba

"Köln hat für ein Jahr ein jüdisches Museum"

Das erzbischöfliche Kunstmuseum Kolumba zeigt in seiner neuen Jahresausstellung "In die Weite" Exponate von der Antike bis heute. Die Ausstellung steht im Kontext zum Festjahr "1700 Jahre jüdischen Lebens in Deutschland".

Autor/in:
Birgitt Schippers
Neue Jahresausstellung im Museum Kolumba / © Schnepf (Kolumba)
Neue Jahresausstellung im Museum Kolumba / © Schnepf ( Kolumba )

"In die Weite" soll die neue Ausstellung in Kolumba gehen und Aspekte jüdischen Lebens darstellen. Durch die enge Kooperation von Kolumba mit dem Jüdischen Museum MiQua und dem LVR ist eine große Bandbreite an Ausstellungsstücken zusammengekommen, die die Vielfalt der Lebenswirklichkeiten von jüdischen Menschen in mehr als 1700 Jahren plastisch vor Augen führen. "Köln hat für ein Jahr ein jüdisches Museum", stellt Kolumba-Direktor Dr. Stefan Kraus fest.

Für ihn steht auch außer Frage, dass an der Shoa führt kein Weg vorbeiführt, aber "wir wollen in der Annäherung zu jüdischem Leben und dem jüdisch-christlichen Verhältnis weitergehen und eine Perspektive geben." Um eine rein chronologische Darstellung der jüdischen Geschichte geht es den Ausstellungsmacher*innen nicht. Dies könne eine Ausstellung mit einzelnen Objekten und Fragmenten auch nicht leisten, so Kraus. Vielmehr sollen die mehr als 100 internationalen Leihgaben Geschichten erzählen, die in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit Herz und Verstand berühren. Es sind Geschichten der Verfolgung und des friedlichen Miteinanders.

Friedliches Zusammenleben

Der älteste Nachweis für die Existenz jüdischer Menschen nördlich der Alpen ist die Abschrift des Dekrets von Kaiser Konstantin aus dem Jahr 321. Mit diesem im gesamten Römischen Reich gültigen Gesetz erlaubte Konstantin, dass Juden Ämter in den römischen Stadträten bekleiden durften und in die politischen wie wirtschaftlichen Entscheidungen einbezogen werden konnten. Zum ersten Mal ist dank des Engagements des Kölner Erzbischofs Rainer Maria Kardinal Woelki dieses kostbare Dokument außerhalb der Biblioteca Vaticana im erzbischöflichen Museum zu sehen.

Friedliches Zusammenleben gab es auch im Mittelalter. Grabungsfunde in Köln sowohl aus dem mittelalterlichen jüdischen Viertel wie aus der Domgrabung zeigen, dass Juden und Nicht-Juden den Alltag miteinander teilten. Kochtöpfe, Spielwürfel oder Trinkgefäße im Raum 11, die in Vitrinen nebeneinander ausgestellt sind, sind dafür ein deutlicher Nachweis, sagt der Leiter der MiQua, Dr. Thomas Otten: "Man hat dasselbe Ess- und Trinkgeschirr verwendet, man hat gemeinsam die ersten Brillengestelle angefertigt. Jüdische wie christliche Handwerker haben für die jeweils anderen Bevölkerungsteile gearbeitet." So zeigen Fragmente der gotischen Bima (Anm. d. Redaktion: Ort in der Synagoge, wo die Thora verlesen wird) aus der Kölner mittelalterlichen Synagoge, dass Steinmetze der Kölner Dombauhütte diese im Auftrag der jüdischen Gemeinde angefertigt haben. Es gibt sogar Hinweise, dass christliche Rosenkränze in einem jüdischen Haus produziert worden sind. "Der Ghettobegriff, der in vielen Köpfen herumgeistert, trifft da überhaupt nicht zu," stellt Otten fest.

Militärisches Engagement jüdischer Männer

Berührend ist die zarte Zeichnung in dem Brief eines jungen jüdischen Soldaten aus den napoleonischen Kriegen an seine Familie. Er zeichnet sich in Uniform mit einem Blumenstrauß in der Hand und erzählt vom Alltag im Militärlager. Ob er als einer der 80.000 Soldaten aus den mörderischen Kriegen Napoleons heimgekehrt ist, wissen wir nicht. Die Ausstellung in Kolumba zeigt anhand vieler weiterer Exponate, dass jüdische Männer für ihre Heimatländer in den Krieg zogen. Und trotzdem wurden sie verfolgt. Wie Richard Stern, der im Ersten Weltkrieg kämpfte, das Eiserne Kreuz II. Klasse erhielt, und doch kurz vor Ausbruch des 2. Weltkriegs emigrieren musste.

Im Zeichen der religiösen Verfolgung

Der Ausstellungstitel "In die Weite" meint auch die Vertreibung der Juden, die sie zwingt, ihre Heimat zu verlassen, um nicht ihr Leben zu verlieren. Kritisch wird in der Ausstellung die religiös motivierte Verfolgung der Juden durch die katholische Kirche betrachtet. Die meisten Objekte werden nicht von ungefähr im Raum 15 gezeigt, dessen Fenster einen Blick auf den Dom eröffnet.

In unmittelbarer Nachbarschafft von Lochners "Madonna mit dem Veilchen" erschreckt das Bildmotiv eines Siegels, das dem Pfandleiher Jakob aus Bremen auferlegt wurde: er wurde gezwungen, mit dem Motiv der sogenannten "Judensau" seine Urkunden zu besiegeln. In demselben Raum findet sich auch die Bronzeplastik der "Steinewerfenden Juden" vom Fuß eines Stephanus-Reliquiars aus dem 13. Jahrhundert. Reliefdarstellungen des Evangeliars aus St. Godehard (12. Jahrhundert) zeugen von dem Anspruch der Kirche, der jüdischen Religion überlegen zu sein. Die blinde Synagoga als Symbolfigur des Alten Testaments wendet sich in einer der Darstellungen vom Kreuz ab. Die siegreiche Ecclesia mit Fahne und Schild dagegen ist Symbol des wahren Glaubens. Nicht zuletzt werden auch die judenfeindlichen Darstellungen im Chorgestühl des Kölner Doms zum Thema. Die Veranstalter hoffen, dass auch in Zeiten von Corona es möglich sein wird, in einem Rahmenprogramm zur Ausstellung die kritische Auseinandersetzung weiterzuführen.

Moderne Kunst und Malerei

Moderne Kunst bietet die Möglichkeit, dem Unaussprechlichen eine Form jenseits der Sprache zu geben. So konfrontieren die monochronen, abstrakten Werke von jüdischen Künstlern wie Frederic Thursz die Betrachtenden mit existenzieller Unmittelbarkeit, die Antworten erwartet.  Mit konkreten Gegenständen verarbeitet die Künstlerin Rebecca Horn die Shoa in ihrer Arbeit "Berlin Earthbound" (1994) und lässt einen ramponierten alten Koffer an einer Stange hoch in Richtung Decke fahren, der immer wieder wie ein zappelnder Falter auf die Erde sinkt. Sie scheint die unendliche Geschichte des jüdischen Überlebenskampfes zu erzählen, aber auch vom Willen zu überleben.

Zufallsentdeckungen

Die Verfolgung der Juden und die Zerstörung ihrer Lebensräume haben über Jahrhunderte einen Großteil an Zeugnissen jüdischen Lebens vernichtet. Und doch gibt es immer wieder fast wundersame Entdeckungen. So wurden im Speicher einer ehemaligen Synagoge in Niederzissen, die als Schmiede genutzt wurde, eine vollständig erhaltene Genisa (Anm. d. Red.: Raum für nicht mehr benutzte liturgischer Gegenstände und Schriftstücke) entdeckt. Die rund 300 religiösen und nicht-religiösen Objekte, unter ihnen kunsthistorisch interessante Textilien wie Tora-Wickelbänder, aber auch Rechnungen und Briefe, geben einen facettenreichen Eindruck von dem religiösen Leben und Alltag einer Synagoge auf dem Lande in der Eifel. Sie reichen bis ins 17. Jahrhundert. Auch der Brief des Soldaten unter Napoleon gehört zu den Fundstücken, die im Raum 9 zu sehen sind.

Ganz groß steht mitten im Raum 13 eine Sukka, eine Laubhütte aus der Synagoge in Rottenburg-Baisingen, das als provisorisches Zuhause während des Laubhüttenfestes jüdischen Menschen gedient hat – bis zur Vertreibung und Deportation durch die Nationalsozialisten. Es wurde bis ins Jahr 2000 als Geflügelstall genutzt. 

Ergreifend ist die Geschichte des in Zeitungspapier gewickelten Kinderfahrrades im Raum 18. Ein jüdischer Junge bat seinen Freund in den 1930er Jahren, sein Fahrrad aufbewahren. Doch er kam nie mehr zurück, es abzuholen. Wie das Fahrrad zu guter Letzt in die Hände der MiQua-Freunde kam, ist eine andere Geschichte. Es lohnt sich, sie in dem kleinen Taschenbuch zur Ausstellung nachzulesen.

Fazit

Die Ausstellung "In die Weite – Aspekte jüdischen Lebens in Deutschland" vermittelt intensive Einsichten über das von Höhen und Tiefen gezeichnete Leben jüdischer Menschen seit mehr als 1700 Jahren. Die vielen Objekte der religiösen und kultischen Traditionen motivieren, sich mehr mit dem rituellen und theologischen Brauchtum des Judentums zu beschäftigen. Vom antiken Titus-Relief bis zu den Narrenkappen des seit 2017 bestehenden jüdischen Karnevalvereins "Kölsche Kippa Köpp" – die Bandbreite dieser Ausstellung hat das Potenzial, unseren Vorstellungen vom jüdischen Leben neue Horizonte zu eröffnen.


Neue Jahresausstellung im Museum Kolumba / © Birgitt Schippers (DR)
Neue Jahresausstellung im Museum Kolumba / © Birgitt Schippers ( DR )
Quelle:
DR