Erzbischof von Vilnius leitet europäischen Bischofsrat CCEE

"Mit dieser Wahl hätte ich nicht gerechnet"

Aufgewachsen ist er in den USA und hat als Computertechniker für IBM gearbeitet. Jetzt ist er Präsident des höchsten katholischen Gremiums in Europa. Gintaras Grušas kennt den Blick von außen und will den auch in seiner neuen Rolle nutzen.

Erzbischof Gintaras Grušas / © Christian Gennari (KNA)
Erzbischof Gintaras Grušas / © Christian Gennari ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie sind neuer Präsident des CCEE, des Rates der europäischen Bischofskonferenzen, der 45 Länder umfasst. Kann man Sie als Europas Chefkatholik bezeichnen?

Gintaras Grušas (Erzbischof von Vilnius und Präsident des CCEE): Das geht vielleicht ein bisschen weit. Der Papst ist immer noch Europas Chefkatholik.

DOMRADIO.DE: Es gibt ja zwei verschiedene katholische Interessenvertretungen auf europäischer Ebene, die CCEE und die COMECE. Wo ist da eigentlich der Unterschied?

Grusas: Die COMECE ist die Vertretung der Bischofskonferenzen in der Europäischen Union. Die sitzt in Brüssel und befasst sich vor allem mit dem Positionen, Richtlinien und Entscheidungen, die die EU betreffen. Das ist unsere Stimme als Kirche im Dialog mit der EU.

Die CCEE ist mehr pastoral orientiert. Wir sind im weiteren Sinne der Rat der Bischofskonferenzen Europas. Wir haben 39 Mitglieder, davon 33 Bischofskonferenzen, die anderen sechs sind individuelle Diözesen, die ein ganzes Land umfassen, also keine eigene nationale Bischofskonferenz haben.

Wir haben 39 Mitglieder, die aber 45 Länder vertreten, weil einige Konferenzen mehrere Länder umfassen, zum Beispiel die nordische Bischofskonferenz. Zu diesen 45 Ländern gehören dann auch Russland, die Türkei, Island, Malta – wir definieren Europa also im weitesten Sinne.

Unser Ziel ist es, den Dialog zwischen den Bischofskonferenzen zu fördern, aber auch verschiedene Themen zu adressieren, die den ganzen Kontinent betreffen. Wir sind zum Beispiel in der Ökumene aktiv und arbeiten mit der KEK zusammen, der Konferenz Europäischer Kirchen, die die orthodoxen und reformierten Kirchen umfasst.

Wir befassen uns aber auch mit sozialen Fragen, Jugendarbeit, dem Dialog mit den Ostkirchen – alles, womit eine Bischofskonferenz zu tun hat, versuchen untereinander den Dialog zu fördern und pastorale Fragen anzugehen – und das im gesamteuropäischen Kontext.

DOMRADIO.DE: In Osteuropa definieren sich viele Kirchen eher auf nationaler Ebene, in Westeuropa wird das weiter gesehen. Wie kriegt man das hin, mit einer Stimme zu sprechen?

Grušas: Wir sprechen mit der Stimme, die uns vereint, die Stimme der Evangelisierung. Das ist nicht immer einfach, aber der synodale Prozess, den Papst Franziskus ausgerufen hat, will ja, dass wir einander zuhören, voneinander lernen. Einen gemeinsamen Weg zu gehen, passt sehr gut zur Idee der CCEE. Auf alle Fälle gibt es mehr, das uns verbindet, als das uns trennt.

Eine unserer anderen Aufgaben ist es, auch mit den Kirchenorganisationen auf anderen Kontinenten im Gespräch zu bleiben. Wir sind im Austausch mit Afrika, Südamerika, dem Südpazifik. Auch da lernen wir, wie wichtig der Dialog ist, und auch unsere Unterschiede zu verstehen. Es hilft aber auch, nicht nur Europa im Blick zu behalten, sondern in den Dialog einzutreten, um die Kirchen in anderen Erdteilen zu unterstützen, denen es oft schlechter geht als uns.

DOMRADIO.DE: Das tun Sie als CCEE-Präsident nun von Litauen aus. Ihr Vorgänger war ein italienischer Kardinal. Ändert sich dadurch der Blickwinkel auf Europa?

Grušas: Es gibt die ungeschriebene Tradition bei der CCEE, die Präsidentschaft immer im Wechsel zwischen Westeuropa und Osteuropa zu besetzen. Aus Italien sind wir jetzt nach Litauen gegangen, einem Land, dass Jahrzehnte hinter dem eisernen Vorhang gelegen hat. Das hilft uns die Perspektive zu bewahren, dass Europa größer ist. Das wäre nicht möglich, wenn wir immer in der gleichen Region blieben. Johannes Paul II. hat schon gesagt: Wir müssen mit zwei Lungenflügeln atmen und mit zwei Flügeln fliegen.

DOMRADIO.DE: Das merkt man auch an Ihrem persönlichen Lebenslauf. Sie sind in Amerika geboren und aufgewachsen, während Teile Ihrer Familie in der Sowjetunion auf die Ausreise warten mussten. Erweitert sowas auch den Blick? Ein Außenblick auf Europa?

Grušas: Ich denke schon. Mein Hintergrund hat meinen Blick für die Welt schon geweitet. Das ist ja wie mit den Sprachen. Je mehr Sprachen man lernt und spricht, um so unterschiedlicher sind die Perspektiven, die man einnehmen kann. In unterschiedlichen Ländern und Kulturen zu leben, hilft dabei, zu verstehen, wie unterschiedlich die Menschen doch sind.

Ich habe sieben Jahre in Rom studiert. Das hat auch geholfen. Zwei Jahre davon im Austausch in Großbritannien. Das sind alles Geschenke von Gott, die man sich manchmal vielleicht nicht aussucht, aber es ist deine Lebensgeschichte. Hoffentlich hat Gott einen Plan für diesen Weg und schenkt dir Sachen, die in der Zukunft vielleicht noch ganz nützlich werden können.

DOMRADIO.DE: Können Sie das konkreter machen? Was hat Ihre Jugend in Amerika Ihnen gelehrt, dass Sie jetzt in Europa und in Ihrer neuen Position nutzen können?

Grušas: Das ist schwer konkret zu sagen. Als ich aufgewachsen bin, lag Litauen hinter dem "Eisernen Vorhang". Mein Blick auf die litauische Kirche war eine Kirche des Untergrunds. Mein Blick auf die europäische Kirche ist daraus gewachsen, weil ich die Kirchen in Zentral- und Osteuropa am besten kenne. Das hat dann mein Studium in Rom erst erweitert.

Bevor ich ins Priesterseminar gegangen bin, habe ich in den Vereinigten Staaten allerdings Mathematik und Computerwissenschaften gelernt, ich habe einige Zeit für IBM gearbeitet. Da habe ich einen Einblick in die Geschäftswelt und Organisationsstrukturen gewinnen können, was in meinem Dienst heute auch ganz nützlich ist.

DOMRADIO.DE: Nun treten Sie die CCEE-Präsidentschaft an. Welche Schwerpunkte wollen Sie setzen?

Grušas: Die Frage wurde mir das erste mal eine Stunde nach meiner Wahl gestellt. Mit dieser Wahl hätte ich nicht gerechnet. Von unserem Treffen als Präsidenten der europäischen Bischofskonferenz ging aber ganz klar aus, dass der Schwerpunkt der nächsten zwei Jahre auf dem synodalen Prozess liegt, den der Papst ausgerufen hat, dem Versuch einen gemeinsamen Weg zu gehen.

Wir müssen uns als eine Kirche auf dem Pilgerweg begreifen. Wir müssen auf den Heiligen Geist hören, im Gebet, aber auch im Gespräch mit anderen Menschen, allen Menschen in der Kirche, egal wie aktiv oder inaktiv sie sind. Wir müssen lernen, einander zuzuhören. Wir haben über die Unterschiede in den verschiedenen Ländern gesprochen. Wenn wir auf die kontinentale Ebene wechseln, wird es noch mal eine größere Herausforderung sein, aufeinander zu hören.

Die nächsten zwei Jahre wird die CCEE versuchen, diesen Prozess auf der Kontinentalebene zu begleiten. Was danach kommt, können wir wirklich nicht sagen, wenn wir die Idee der Synodalität ernst nehmen und uns vom Heiligen Geist und den Geschichten unserer Mitmenschen inspirieren lassen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Mitglieder des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) beten am Grab von Papst Johannes Paul II. im Petersdom / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Mitglieder des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) beten am Grab von Papst Johannes Paul II. im Petersdom / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
DR