DOMRADIO.DE: Wie ernst nehmen Sie das, was in Leipzig passiert ist?
Gregor Giele (Propst der Leipziger Propsteikirche St. Trinitatis): Jeder Zwischenfall, der antisemitischen Hintergrund hat, ist ernst zu nehmen. Auf der anderen Seite freut mich, wie das abgelaufen ist, dass Gil Ofarim gesagt hat, er nehme das nicht als Bagatelle hin, sondern mache das öffentlich.
Ich freue mich auch über die schnelle Reaktion von vielen Menschen in Leipzig. Es sind hunderte Menschen vor das Hotel gegangen. Es haben sich auch Mitarbeiter des Hotels klar positioniert. Ich glaube, so müssen wir mit diesen Vorfällen umgehen. Sie bekannt machen und schnell reagieren.
DOMRADIO.DE: Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass sich Demonstranten auch vor dem Hotel eingefunden haben?
Giele: Wie gesagt, das freut mich sehr. Es gibt das klassische Sprichwort "Wehret den Anfängen". Und wenn der Vorgang so gewesen ist, wie er momentan beschrieben wird, dann müssen diejenigen, die so antisemitisch handeln auch merken: Sie sind in der Minderheit und es steht ihnen immer die große Mehrheit deutlich gegenüber.
DOMRADIO.DE: Von Seiten des Hotels wurden aus Solidarität Israel-Flaggen gehisst. Dabei ist Gil Ofarim Deutscher jüdischen Glaubens. Merken Sie bei Ihrem christlich-jüdischen Dialog in Leipzig, dass man das tatsächlich immer wieder auseinanderhalten muss?
Giele: Das war ein Kurzschluss, ein Schnellschuss, der uns öfters begegnet, dass das Judentum als Religion sofort mit dem isarelischen Staat in Verbindung gebracht wird. Das ist irgendwie ganz tief verwurzelt. Andererseits möchte ich die Reaktion des Hotels auch nicht überbewerten. Sie wollten schnell reagieren und das war in einer gewissen Hilflosigkeit wahrscheinlich das Schnellste, was ihnen möglich gewesen ist. Wir sind nicht in Übung und rechnen vorbereitet mit solchen Situationen.
DOMRADIO.DE: Sie setzen sich in Leipzig für den christlich-jüdischen Dialog ein. Was erleben Sie in Sachen Alltags-Antisemitismus?
Giele: Wir hören auch aus der jüdischen Gemeinde in Leipzig, dass die Mitglieder überlegen, wo in welchen Bereichen der Stadt-Öffentlichkeit sie erkennbar als Menschen jüdischen Glaubens auftreten. Auf der anderen Seite haben wir einen Rabbiner, der sagt: "Wir sind eine lebendige jüdische Gemeinde in Leipzig. Wir müssen auch erlebbar werden".
Es gibt öffentliche Gottesdienste in der alten Synagoge, die jetzt Denkmal ist, aber mitten im öffentlichen Raum, in der Kneipenstraße von Leipzig zu finden ist. Es ist ein mutiges Auftreten der Gemeinde. Und doch das herrscht das Wissen vor, gerade wenn man einzeln unterwegs ist, dass man gut überlegen muss, wohin man geht. Das finde ich schon beschämend.
DOMRADIO.DE: Wie werden Sie weiter mit dem Fall Gil Ofarim umgehen? Werden Sie da auch nochmal Gespräche suchen?
Giele: Wir werden schauen. Es steht jetzt Aussage gegen Aussage, Anzeige gegen Anzeige. Man muss der Sache nachgehen und herausfinden, was wirklich gewesen ist. Es geschah ja nicht im kleinen Raum, es standen andere Menschen an der Rezeption und müssten das miterlebt haben.
Wir sollten jetzt in Ruhe schauen, was wirklich war und daraus die Konsequenzen ziehen. Das ist, glaube ich, eine gute Vorgehensweise und nicht mit Aufgeregtheiten reagieren, die lange hochgehalten werden und die Aufklärung eher behindern.
Das Interview führte Carsten Döpp.