DOMRADIO.DE: Wenn wir auf die aktuelle Wahlsituation schauen, da gibt es einen allgemeinen Wahlaufruf der deutschen Bischöfe. Können Sie den ein bisschen konkretisieren?
Ulrich Neymeyr (Bischof von Erfurt, Vorsitzender der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum): Ich wurde in der Pressekonferenz gefragt, was ich vom Wahlaufruf der Zentralrats der Juden und der beiden großen Rabbinerkonferenzen halte, die sich klar von der AfD distanzieren.
Da habe ich gesagt, dass ich diese Stellungnahme sehr gut verstehen kann, weil es doch in der AfD zumindest die Tendenzen gibt, die Erinnerungskultur an die Shoah zurückzufahren. Da habe ich schon die Sorge, wenn man die Shoah verharmlost, dass es dann nur ein relativ kleiner Schritt zur Gutheißung ist und wiederum ein kleiner Schritt zur Wiederholung. Das ist mir vor zwei Jahren bei diesem Anschlag auf die Synagoge in Halle bewusst geworden.
DOMRADIO.DE: Wir leben im Jahr 2021. Juden trauen sich nicht, mit einer Kippa rauszugehen. Es gibt Anschlagsbedrohungen an Synagogen. Worauf führen Sie das zurück?
Neymeyr: Der heutige Antisemitismus ist weniger religiös motiviert, als es in den Jahrhunderten zuvor war; vor allen Dingen auch die christliche Motivation, die den Juden unterstellt, sie seien Mörder Jesu, was natürlich total irre ist, weil das ja höchstens die paar Juden gewesen sein können, die damals in Israel beteiligt waren.
Aber der Rassismus ist heute zum Teil politisch motiviert. Man darf nicht übersehen, dass der Antisemitismus in Deutschland auch islamistische Wurzeln hat. Da ist er aber stark politisch motiviert. Und beim rechtsextremen Antisemitismus ist er häufig durch Verschwörungstheorien motiviert, die den Juden unterstellen, sie würden insgeheim eine Weltregierung aufbauen.
DOMRADIO.DE: Was können Christen tun, um sich gegen alle Formen von Gewalt, von Bedrohung, von Antijudaismus und Islamismus zur Wehr zu setzen?
Neymeyr: Ich würde zwei Wege sehen: einmal sich damit beschäftigen, wie die katholische Kirche heute ihr Verhältnis zum Judentum definiert. Wir haben dazu die wichtigen Dokumente in einem kleinen Büchlein zusammengefasst, eine Arbeitshilfe der Bischofskonferenz, mit der man sich beschäftigen kann. Und natürlich auch den Kontakt zu Juden suchen.
Die Juden feiern in dieser Woche das Laubhüttenfest und laden besonders auch alle ein, dieses Fest mit ihnen zu feiern, weil das ein Fest ist, das nicht nur in der Familie gefeiert wird, sondern wo man auch andere einlädt. Das ist eine gute Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen.
Ich bin sehr froh, dass der Weihbischof Steinhäuser jetzt auch in unserer Kommission mitarbeitet, weil in Köln ja auch sehr gute Beziehungen zur Landsgemeinde gepflegt werden und dort ja auch der Ursprung des Jubiläumsjahres "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" ist.
Deswegen freue ich mich, dass er bei uns jetzt in der Kommission mitarbeitet.
Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.