Es brauche auch größere Bereitschaft und Offenheit, jüdisches Leben, Kultur und Religion kennenlernen zu wollen, sagte der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr am Mittwoch in Fulda. "Das Interesse am Judentum wecken und die Begegnung mit Jüdinnen und Juden fördern, ist nach meiner Überzeugung das beste Mittel, um Antisemitismus vorzubeugen", betonte der Leiter der Arbeitsgruppe zum Dialog von Bischofskonferenz und Judentum.
Das laufende Aktions- und Festjahr "1.700 Jahre jüdisches Leben" in Deutschland biete dazu zahlreiche Gelegenheiten und Einladungen, so der Bischof. "Suchen Sie das Gespräch mit Jüdinnen und Juden und lernen Sie auf diese Weise jüdisches Leben heute kennen!"
Dialog zwischen den Religionen
Die Leiterin des Forums "Juden und Christen" beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), Dagmar Mensink, sagte, der Austausch zwischen Juden und Christen sei keineswegs nur eine Randaufgabe der katholischen Kirche. Vielmehr gehöre der Dialog "gleichsam zur DNA unseres Glaubens". Die Kirche verstehe sich selbst nur dann richtig, wenn sie mit dem Judentum im Gespräch bleibe, so Mensink.
Sie verurteilte antisemitische Übergriffe, Gewalttaten und Anfeindungen. Es sei zutiefst beschämend, wenn Jüdinnen und Juden in "Deutschland 76 Jahre nach der Schoah Angst haben, wenn sie zum Gebet gehen oder sichtbar eine Kippa tragen".
Immer mehr antisemitische Vorfälle
Mensink, die auch Koordinatorin für religionspolitische Grundsatzfragen der rheinland-pfälzischen Landesregierung ist, verwies darauf, dass die Zahl antisemitischer Vorfälle in Deutschland seit Jahren kontinuierlich steige. "Die Gefahr ist real."
Auch sei Antisemitismus ein fester Bestandteil von Verschwörungsmythen, gerade im Zusammenhang der Corona-Pandemie. "Dass die Corona-Verschwörungsideologie gefährlich, ja mörderisch sein kann, haben wir in Idar-Oberstein auf grausame Weise gesehen", sagte Mensink im Blick auf den von einem Maskengegner getöteten Tankstellen-Mitarbeiter.
Mensink rief auch zu einem sensibleren Sprachgebrauch auf. Es dürfe kein Gegensatz "zwischen einem nichtjüdischen Wir und einem jüdischen Gegenüber" aufgebaut werden. Wer beispielsweise von "Deutschen und Juden" spreche, berücksichtige nicht, dass "Deutsche Juden sind und Juden Deutsche".
Haltung zeigen
Der Historiker Johannes Heil sagte, die bloße Existenz von Antisemitismus sei ein Skandal. Judenfeindlichkeit sei dabei "die Spitze des Eisbergs und ein Symptom für umfassendere Missstände in dieser Gesellschaft".
Der Wissenschaftler nahm die Kirchen und kirchlichen Gemeinden vor Ort in die Pflicht, gegen antisemitische, ausländerfeindliche, rassistische und diskriminierende Positionen Stellung zu beziehen. Solche Haltungen dürften "besonders im kirchlichen Leben keinen Platz haben, erst recht keine in der alten antijudaistischen Tradition stehenden Gewohnheiten", sagte Heil.