KNA: Herr Badawia, vor einem Jahr wurde in Paris der Lehrer Samuel Paty ermordet, weil er im Unterricht die Mohammed-Karikaturen aus der dänischen Tageszeitung "Jyllands-Posten" als Ausdruck für Meinungsfreiheit behandelt hat. Sie sagen, dass eine Auseinandersetzung mit den Karikaturen dennoch in die Schule gehören sollte. Warum?
Tarek Badawia (Professor für Islamisch-Religiöse Studien mit Schwerpunkt Religionspädagogik/Religionslehre an der Universität Erlangen): Weil ich fest davon überzeugt bin, dass der Prophet selbst diesen Mord an einem unschuldigen Menschen verurteilt hätte. Außerdem ist das Thema - spätestens seit dem Mord an Paty - zu brisant geworden, um es wegzudenken.
Es gehört einfach zur unmittelbaren Lebenswelt der Schüler, sich im Religions- oder Ethikunterricht mit diesen Fragen zu befassen. Der Unterricht muss auf solche Entwicklungen reagieren und sie als Bildungsthemen mit den Schülern aufarbeiten.
Tabuisierungen schaffen da nur Raum für radikales Denken. Und Menschen, die das verbreiten, warten leider überall, vor allem im Netz. Mit dem Aufruf wollten wir in die Offensive gehen und zeigen, wie wichtig es ist, das Thema taktvoll zu behandeln.
KNA: Dafür haben Sie im vergangenen Jahr gemeinsam mit Ihrem Dresdener Kollegen Markus Tiedemann eine Petition gestartet. Welche Rückmeldung haben Sie dazu bekommen?
Badawia: Ich arbeite ja viel mit Lehrkräften zusammen. Hier war die Irritation zunächst groß, warum wir ausgerechnet jetzt mit dieser Idee kamen. Später wurde die Resonanz aber fast durchweg positiv. Jedoch sind nicht alle Lehrer davon überzeugt, dass sie die Karikaturen auch im Unterricht zeigen wollen. Generell ist aber Konsens, dass über das Thema gesprochen werden muss.
KNA: Dennoch wird wohl gerade bei vielen Lehrkräften eine gewisse Scheu vorhanden sein...
Badawia: Es ist sicher eine pädagogische Herausforderung, die auch nicht überall gleich funktionieren kann. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass ich als Lehrkraft meine Klasse kenne. Vieles hängt an der Beziehung zwischen Lehrern und Schülern. Es darf nicht so rüberkommen, dass damit versucht würde, Vorurteile zu bestätigen, etwa gegen "nicht aufgeklärte" Muslime, die Satire und Meinungsfreiheit nicht verstehen können.
Es soll vielmehr darum gehen, Konfliktlösung und Streitkultur zu fördern, auf anderem Weg als durch Gewalt und Einschüchterung. Und wenn ich je nach Klassenklima trotzdem fürchte, in dem einen Moment nicht mit entsprechender Aufnahmebereitschaft rechnen zu können, dann kann ich das Thema eventuell noch indirekt angehen.
KNA: Inwiefern?
Badawia: Zum Beispiel über die Persönlichkeit des Propheten. Man kann darüber sprechen, wie Mohammed selbst mit Beleidigungen gegen sich umgegangen ist. In Koran und Prophetenbiografie wird an mehreren Stellen berichtet, wie der Prophet mit Häme und Spott bedacht wird.
Er hat darauf mit Gelassenheit reagiert und gleichzeitig gefordert, dass niemand zum Mitläufer wird und die Götter anderer Religionen beleidigt. Er hat ja sogar für seine Feinde gebetet. Und wenn muslimische Schüler dies wissen, dann ist das die Gelegenheit, darüber zu informieren: Die sogenannten Mohammed-Karikaturen haben einen eklatanten Widerspruch zwischen islamischer Lehre und Handeln der Extremisten aufgezeigt, und dies muss auch im Unterricht aufgearbeitet werden.
KNA: Ist es dann von Vorteil, wenn die Lehrkraft selbst Muslim ist?
Badawia: Das würde ich nicht sagen, im Gegenteil sogar. Wenn jemand aus der christlichen Mehrheitsgesellschaft sensibel, kritisch und konstruktiv an die Sache herangeht, klar macht, dass der Fokus nicht auf der Herabwürdigung der Religion, sondern auf Radikalisierung und Stiftung von Unfrieden in unserer Gesellschaft liegt, geht das eventuell besser als bei einer muslimischen Lehrkraft, von der schlicht erwartet wird, dass sie sich dem Thema widmet.
KNA: Sie sind islamischer Theologe und Religionspädagoge. Wie stehen Sie persönlich zu den Karikaturen?
Badawia: Ich selbst finde nicht, dass sie gezeigt werden müssen. Weder sind sie künstlerisch geschmackvoll, noch zeigen sie für mich den Propheten; deswegen spreche ich auch immer von den "sogenannten Mohammed-Karikaturen".
Sie lösen Emotionen aus, die einfach nicht sein müssen. Für mich steht immer im Mittelpunkt zu prüfen, mit welcher Absicht sie von wem gezeigt und welche negativen Bilder damit reproduziert werden sollen.
KNA: Andere argumentieren hier mit Meinungs- und Kunstfreiheit und meinen, dass diese Kritik ausgehalten werden muss.
Badawia: Es darf natürlich über alles kritisch diskutiert werden, aber es geht auch um die Umgangsformen. Ebenso lehne ich geschmacklose Darstellungen der Kreuzigung oder anderer Motive aus christlicher, jüdischer und anderer religiöser Tradition ab. Das mit den religiösen Gefühlen steht aber für mich persönlich nicht unbedingt im Vordergrund.
Es geht mir um die gesamtgesellschaftliche Atmosphäre, die dadurch vergiftet wird. Ich denke da etwa an junge Muslime, die ständig mit solchen Stereotypen konfrontiert werden. Wir können auch nicht selbstverständlich davon ausgehen, dass alle Menschen aufgeklärt genug sind, um das einfach wegstecken zu können. Und den Radikalen spielen solche Provokationen ohnehin in die Hände.
KNA: Haben Sie für Ihren Vorstoß auch Anfeindung erlebt?
Badawia: Natürlich gibt es auch Gegenrede. Was mich aber mehr verwundert hat, waren vereinzelte Reaktionen in muslimischen Kreisen. Manche haben mir gesagt, dass sie das Anliegen zwar unterstützen, aber nicht damit öffentlich gehen wollen. Dabei finde ich das besonders wichtig.
Wir müssen uns offen positionieren und klar Farbe bekennen, nicht nur, weil es sonst immer einen gewissen Verdacht gibt. Als Muslim will ich nicht, dass im Namen des Propheten Menschen getötet werden!
Das Interview führte Johannes Senk.