DOMRADIO.DE: Sie befinden sich im Gebiet Los Llanos im Westen der Insel. Die ist besonders von den Lavaströmen betroffen, nur fünf Kilometer vom Vulkan entfernt. Wie haben Sie persönlich die letzten fünf Wochen auf der Insel erlebt?
Pedro Rodriguez (Pastor in der Gemeinde Los Llanos auf La Palma): Es war sehr spannend. Am Anfang war es natürlich eine Sensation, einen Vulkanausbruch mitzuerleben. Rein optisch, vom Abenteuer her. Aber es hat sofort umgeschlagen, weil wir auch sofort gemerkt haben, dass sehr große Schäden entstanden sind. Man kann es nicht bremsen. Es herrschte erst mal Hilfslosigkeit und man konnte nur erschreckt davor stehen. Wir können nichts machen, um diesen Vulkan aufzuhalten. Der spuckt aus.
Ich stehe draußen im Garten und ich sehe den Vulkan von unserem Haus aus. Es ist erschreckend. Ich habe das im Spanischen auch so beschrieben: Es ist ein Monstrum, das einfach alles verschlingt, was ihm in den Weg kommt. Diese fünf Wochen waren schier endlos, weil der Vulkan nicht wie eine Quelle irgendwo Lava ausströmt und der Fluss einfach diesen Lauf geht, sondern er breitet sich aus. Inzwischen sind es über zwei Kilometer Breite, was den Lavastrom betrifft. Und diese zwei Kilometer haben alles zugedeckt, vernichtet und verschlungen, was sich ihnen in den Weg gestellt hat. Es ist eine erschreckende Situation. Tragisch.
DOMRADIO.DE: Sind Sie auch selbst betroffen?
Rodriguez: Nein. Wir sind etwa sechs Kilometer von dem Vulkan selbst entfernt und etwa vier von der nächsten Lavastromlinie. Es sei denn, dass der Vulkan woanders noch eine Öffnung hat. Wir befürchten nicht, dass wir betroffen sein werden. Wir sind zu weit entfernt. Im Augenblick jedenfalls.
DOMRADIO.DE: Sie sind ja auch Pastor in einer Baptistengemeinde und kümmern sich zusammen mit anderen Gemeindemitgliedern um Menschen, die zum Teil alles verloren haben. Dafür hat die Stadt unter anderem eine Sporthalle zur Verfügung gestellt. Da teilen Sie mit einem Team von Ehrenamtlichen Lebensmittel, Handtücher und Bettwäsche aus. Wer kommt da zu Ihnen und was sind die Anliegen? Was brauchen die Menschen jetzt?
Rodriguez: Es kommen Menschen aus allen unterschiedlichen Schichten dazu. Es gab Leute, die sehr wohlhabend sind oder waren, die wunderbare Häuser, Bungalows oder Anwesen hatten. Die kommen zum Teil auch, weil sie tatsächlich auch alles verloren haben. Aber auch sehr einfache Leute, Arbeiter, die nicht nur Wohnung oder Wohnraum verloren haben, sondern auch ihren Arbeitsplatz, weil sie in der Bananenproduktion tätig waren, in der Landwirtschaft ihre eigenen Anlagen hatten. Die sind auch vernichtet worden. Das ist ganz unterschiedlich. Der Vulkan hat überhaupt keine Rücksicht, was den Status der Menschen betrifft. Alle Schichten sind betroffen.
Zuerst kommen sie und wissen erst mal gar nicht, was sie brauchen. Wir sind ja auch als Seelsorger tätig und wir müssen sie beraten, was sie tatsächlich brauchen. Sie denken vielleicht nur: Ich brauche eine Hose. Aber dann denken sie nicht daran, dass sie auch ohne Unterwäsche sind, dass sie kein Geschirr mehr haben oder dass sie Körperpflegemittel brauchen und Bürsten und alles Mögliche, woran sie in dem Moment unter Schock auch gar nicht denken können. Die Grundelemente zum Leben und zum Wohnen werden benötigt. Und das ist das, was eben auch in dieser Sporthalle verteilt wird.
DOMRADIO.DE: Sie sind ja auch als Seelsorger vor Ort, wie auch viele andere Psychologen oder Sozialarbeiter. Wie begegnet man der seelischen Not von diesen Menschen?
Rodriguez: Die meisten kommen erst mal an und sind natürlich sehr bestürzt. Manchmal auch sauer auf Gott, weil sie meinen, Gott hätte das zugelassen. Es ist ja immer wieder die gleiche Geschichte: Wir glauben vielleicht im Laufe des Lebens nicht an Gott, aber in diesen Momenten beschuldigen wir ihn, dass er das zugelassen hat. Meine Aufgabe oder das, was ich eben als meine Aufgabe sehe, ist es auch zu sagen, dass bisher kein Menschleben zu beklagen ist und Gott davor bewahrt hat.
Einer, der auch verneint hat, dass Gott irgendetwas damit zu tun hat, schaute mich an und sagte: Ja, tatsächlich, du hast recht. Ich bin mit dem Leben davongekommen. Und das ist schon mal was. Menschen, die ihre ganze Existenz verloren haben, kann ich sagen, dass sie nochmal anfangen können. Auch, wenn sie älter sind. Es kann noch mal weitergehen.
Außerdem wissen wir auch noch nicht, welches Ausmaß die Vernichtung noch hat, weil der Vulkan über fünf Wochen tätig ist. Man weiß nicht, wie viele Reserven er noch hat, wie viel Magma noch unten ist. Wir müssen die Hoffnung weitergeben. Das ist mein Dienst, den ich auch weitergeben möchte. Ich möchte Hoffnung geben, dass es wieder aufwärts geht. Das Leben ist nicht zu Ende. Das ist jetzt vielleicht eine Bremse in unserem Alltag, nachzusinnen, was wir eigentlich sind, wer wir sind. Dass das Beten weitergeht, dass es eine große Chance gibt. Dass man sich an Gott klammern kann, wenn er uns Hilfe bietet.
DOMRADIO.DE: Der letzte Ausbruch war vor 50 Jahren und dauerte 24 Tage an. Davor der 42 Tage. Zwischendurch hatte man vielleicht schon mal die Hoffnung, dass er sich beruhigt. In der Nacht auf Montag gab es jetzt einen neuen Ausbruch. Was wünschen Sie sich für die nächsten Wochen?
Rodriguez: Ich wünsche mir - und da bete ich auch drum -, dass der Vulkan zur Ruhe kommt. Und dass die Menschen endlich Frieden haben können. Die Erdbeben haben ja nicht aufgehört, sie sind sogar schlimmer geworden. Ich wünsche mir, dass das aufhört, damit die Menschen und wir selbst auch wissen: So groß ist der Schaden und jetzt können wir erst mal drangehen, das wieder aufzubauen, was aufzubauen ist.
Das Interview führte Elena Hong.