"Wir sind manchen Schritt vorangekommen, aber dennoch muss ich an dieser Stelle auch selbstkritisch sagen: Wir sind noch nicht so weit gekommen, wie wir wollten", sagte Bedford-Strohm am Sonntag in seinem letzten Ratsbericht vor der digital tagenden Synode der EKD. Am Rande der Synode hatten auch Betroffene von sexualisierter Gewalt den Aufarbeitungswillen der evangelischen Kirche kritisiert.
Der bayerische Landesbischof zeigte sich in seiner Rede offen für eine Beteiligung Dritter, etwa des Staates, an der Aufarbeitung. "Wir sind mitten in einem umwälzenden Lernprozess, nichts weniger, und es liegt noch ein langer Weg vor uns", sagte Bedford-Strohm. "Ein Weg, bei dem wir verstärkt auf Unterstützung von außerhalb der Kirche hoffen."
Zudem sprach er sich für eine "Verbreiterung der gesellschaftlichen Diskussion" über Missbrauchsfälle aus. Dennoch stünden die Kirchen mit Recht im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Betroffene üben Kritik
Viel zu oft sei das mit sexueller Gewalt verbundene Unrecht in den eigenen Reihen nicht gesehen worden, "oder man wollte es nicht sehen", räumte der Ratsvorsitzende ein. Wichtig sei es nun, den Weg der Aufarbeitung weiterzugehen.
Betroffene übten unterdessen heftige Kritik am Aufarbeitungswillen der Kirche. Sie fordern eine unabhängige Aufarbeitung. Für Missbrauchsopfer habe sich in den vergangenen Jahren auf Ebene der Landeskirchen "nichts oder nur wenig geändert", erklärte Katharina Kracht. Sie gehörte dem Betroffenenbeirat der EKD an, den diese im vergangenen Mai wegen verschiedener Konflikte ausgesetzt hatte.
Die EKD-Synode will am Montag das Thema sexualisierte Gewalt behandeln. Zudem soll ein neuer Rat gewählt werden.
Die Betroffenen beklagten eine mangelnde Partizipation und zu wenig Unterstützung bei der Bildung von Netzwerken. Während die katholische Kirche sich einem hohen öffentlichen Druck ausgesetzt sehe, versuche die evangelische Kirche weiter "den Mythos" zu verbreiten, es handele sich um Einzelfälle.
Unabhängige Aufarbeitung gefordert
Der Betroffene Henning Stein forderte eine unabhängige Aufarbeitung. Es müsse eine Art Wahrheitskommission eingesetzt werden. Die evangelische Kirche versuche stets, die Kontrolle zu behalten und könne deshalb eine solche Aufarbeitung nicht leisten. Zudem müsse der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, Betroffene darin unterstützten, sich zusammenzuschließen.
Rörig selbst hatte den Umgang der EKD mit Betroffenen zuletzt ebenfalls kritisiert. Die neue EKD-Leitung sollte die Bekämpfung und Aufarbeitung von Missbrauch künftig zur Chefsache machen, sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Er sprach sich dafür aus, dass die Synode einen unabhängigen Beauftragen einsetzen solle, bei dem der Betroffenenbeirat angesiedelt werden könnte.
Theologin Käßmann: Missbrauch energischer aufklären
Die evangelische Theologin Margot Käßmann hat unterdessen einen offeneren Umgang mit Fällen des sexuellen Missbrauchs in der Kirche angemahnt. "Es ist bitter, dass die Betroffenen, die Opfer von sexualisierter Gewalt, erklären, dass unsere Kirche das nicht energisch genug aufklärt", sagte die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Montag im Deutschlandfunk.
Es müsse gefragt werden, wieso Straftaten zum Schutz der Kirche vertuscht wurden, so Käßmann. "Das widerspricht unserer Grundüberzeugung, dass die Kirche zuallererst die Opfer in unserer Gesellschaft zu schützen hat". Die Idee vom Pastor, der unantastbar sei, oder vom Diakon, der nicht hinterfragt werden dürfe, sei ein "absolut falsches Amtsverständnis", so die Theologin. "Hier Vertrauen zurückzugewinnen ist eine enorme Aufgabe."
Laut Käßmann versucht die EKD, offensiv mit den Taten umzugehen.
Zugleich dauere der Schock darüber, was passieren konnte, an. "In Zukunft muss jeder Verdachtsfall sofort öffentlich gemacht werden", forderte die Theologin. Sofern eine Straftat bestehe, dürfe es keine innerkirchliche Aufklärung geben, sondern müsse der Fall unmittelbar an die Staatsanwaltschaft weitergereicht werden. Täter seien konsequent aus dem Dienst nehmen anstatt zu versetzen. Auch eine externe Wahrheitskommission, wie Betroffene sie gefordert hatten, bezeichnete die ehemalige Ratsvorsitzende als "durchaus sinnvoll". Die Kirche müsse "diesen schmerzhaften Weg gehen".