Sozialpsychologe Welzer übt Gesellschaftskritik

"Teufel muss säkularisiert werden"

Der Sozialpsychologe Harald Welzer sieht die Aufklärung auf halbem Weg steckengeblieben. Gott sei für tot erklärt worden, der Teufel aber nicht, sagte der Wissenschaftler in einem Interview der "Süddeutschen Zeitung" am Wochenende.

Eine hölzerne Teufelsfigur in einer Krippe / © Dieter Mayr (KNA)
Eine hölzerne Teufelsfigur in einer Krippe / © Dieter Mayr ( KNA )

So komme es, dass der Unfall, die Katastrophe, das Misslingen immer als Abweichung von der Normalität gesehen werde, nicht aber als Teil von ihr. So werde ein Terroranschlag oder ein Erdbeben immer als "eine Art negatives Wunder" gesehen und als "tragisch" oder "unvorstellbar" überhöht.

Kultur von Konzept der Unendlichkeit getrieben

"Es muss dann auch immer ein Schuldiger gefunden werden, der das zu verantworten hatte", sagte Welzer. Dabei könne immer etwas passieren. Wer mit unglücklichen Vorkommnissen rechne, könne besser mit ihnen umgehen. Die Kultur der Gegenwart sei von einem höchst erfolgreichen "Konzept der Unendlichkeit" getrieben, vom unerschütterlichen Glauben daran, "dass alles immer so weitergeht".

Im Umgang mit "Endlichkeitsproblemen" sei es nicht ideal, keine Vorstellung von Endlichkeit zu haben, sagte der Sozialwissenschaftler. Die Themen des 21. Jahrhunderts wie Artensterben und Klimawandel seien jedoch alles Endlichkeitsprobleme. "Wenn die Insekten weg sind, sind sie weg. Und wir auch. Ganz einfach."

Weniger Schuldgefühle nach schwerem Herzinfarkt

Der 63-Jährige hatte im April 2020 einen schweren Herzinfarkt erlitten, den er nur knapp überlebte. Er sagte, seither sehe er vieles entspannter, mache weniger und habe auch weniger Schuldgefühle. In seinem neuen Buch "Nachruf auf mich selbst" regt Welzer dazu an, das eigene Leben vom Ende her zu denken und eine Kultur des Aufhörens zu etablieren.

Der Zeitung sagte der Autor, das Schreiben dieses Buches habe seine Angst vor dem Tod gelindert, "weil ich über den Tod und das Sterben nicht mehr so hinweglebe". Deswegen finde er es aber immer noch nicht toll, "dass wir alle sterben müssen".


Quelle:
KNA