Anfang 2016: Mehrere Missbrauchsfälle in der Vergangenheit der Kirche in Frankreich werden bekannt. In den Fokus gerät rasch der Erzbischof von Lyon, Kardinal Philippe Barbarin. Ihm wird vorgeworfen, Fälle sexueller Übergriffe des Priesters Bernard Preynat nicht bei den staatlichen Behörden angezeigt zu haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, stellt das Verfahren aber nach einigen Monaten ein; es gebe keine Hinweise auf eine Straftat Barbarins.
Juli 2016: Die Bischofskonferenz startet eine Website gegen Missbrauch und Pädophilie, wo Betroffene Kontakt mit kirchlichen Ansprechpartnern aufnehmen können.
November 2018: Die Bischöfe beschließen in Lourdes die Gründung einer unabhängigen Kommission, die die Vergangenheit seit 1950 beleuchten, Konsequenzen empfehlen und so neues Vertrauen in die Kirche aufbauen soll. Leiter der mit «Ciase» abgekürzten Kommission wird der frühere Richter Jean-Marc Sauve.
Februar 2019: Der Spielfilm "Grace a Dieu" (dt. "Gelobt sei Gott") von Regisseur Francois Ozon von 2018 hat Premiere auf der Berlinale. Das Drama thematisiert das Schicksal dreier Männer, die als jugendliche Pfadfinder von dem Priester Preynat missbraucht wurden.
Der Titel spielt auf einen erleichterten Ausruf Kardinal Barbarins an, weil der Großteil der Missbrauchsfälle in der Zwischenzeit verjährt war. Bald darauf hebt der Papst die Verjährung auf. Noch im Februar startet der Film in französischen Kinos; deutscher Kinostart ist Ende September.
März 2019: Kardinal Barbarin wird in erster Instanz wegen Nichtanzeige schuldig gesprochen und zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Zehn ehemalige Pfadfinder und mutmaßliche Missbrauchsopfer traten als Nebenkläger auf. Barbarin bietet dem Papst seinen Amtsverzicht an, den dieser aber nicht annimmt. Da das Berufungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei, gelte die Unschuldsvermutung, so Franziskus. Barbarin nimmt sich eine Auszeit.
April 2019: Beginn der Ciase-Anhörungen. Zeugen werden zur Aussage aufgerufen. Im Verlauf ihrer gut dreijährigen Arbeit werden dem Gremium etwa 50 Experten und hochrangige Kirchenvertreter angehören.
Rund 6.500 Menschen melden sich bis Oktober 2020; Hunderte Interviews werden geführt. Die Fristen zur Meldung und die Anhörungen werden wegen der Corona-Pandemie verlängert.
Juni 2019: Die Konferenz der Ordensoberen in Frankreich (Corref) übernimmt ein Drittel der Kosten zur Finanzierung der Ciase; die anderen zwei Drittel tragen die Bischöfe.
November 2019: Frankreichs Bischöfe stimmen für die Gewährung einer «Pauschalsumme» an Missbrauchsopfer. Die Ciase beginnt eine "Tour de France", um in großen Städten des Landes zu informieren und Zeugnisse aufzunehmen.
Januar 2020: Barbarin wird vom Berufungsgericht in Lyon vom Vorwurf der Nichtanzeige freigesprochen. Zu Prozessende hatte sich auch die Staatsanwaltschaft für einen Freispruch ausgesprochen.
März 2020: Trotz des Freispruchs verzichtet Barbarin auf das Amt des Erzbischofs von Lyon und zieht sich in die Bretagne aufs Land zurück.
Unterdessen wird der Priester Preynat zu fünf Jahren Haft ohne Bewährung wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs verurteilt. Im November verzichtet er auf die angekündigte Berufung, muss aber auch seine Haftstrafe aufgrund medizinischer Gutachten vorläufig nicht antreten.
April 2021: Ein zivilrechtlicher Prozess gegen Barbarin wegen Missbrauchsvertuschung, das in Schadenersatzzahlungen hätte münden können, verläuft ohne Ergebnis.
Oktober 2021: Die Ciase übergibt ihren Abschlussbericht an die Bischofskonferenz und die Ordensoberen-Konferenz. Die Kommission rechnet darin die Zahl minderjährige Opfer sexueller Übergriffe durch Priester, Ordensleute und Kirchenmitarbeiter der katholischen Kirche in Frankreich seit 1950 auf 216.000 bis 300.000 hoch. Zwischen 2.900 und 3.200 potenzielle Täter wurden ermittelt. Kommissionsleiter Jean-Marc Sauve spricht von "systemischer Vertuschung".