Nach der schlimmen Zeit fehlte den Menschen etwas Wichtiges: Der Kirchturm war leer, die Glocken riefen nicht mehr zum Gottesdienst, zur Taufe oder zur Beerdigung. Während des Zweiten Weltkriegs hatten die Nationalsozialisten auch in der evangelischen Kirche in Steinwenden im Landkreis Kaiserslautern die großen, schweren Bronzeglocken abgehängt und abtransportiert: Sie wurden vernichtet - umgegossen zu Kanonen.
Nach den beiden Weltkriegen, etwa ab 1921 und ab 1948, setzte in ganz Deutschland ein "Glockenboom" ein, wie der Historiker Roland Paul erzählt. Für seine Heimatgemeinde Steinwenden hat der ehemalige pfälzische Landessynodale nun aufgearbeitet, wie die evangelische Kirche vor 70 Jahren wieder zu drei neuen Glocken kam. Mit einem großen Volksfest wurden beim Erntedankfest 1951 die Totenglocke "Golgatha", die Betglocke "Wartburg" und die Taufglocke "Bethlehem" in Betrieb genommen.
"Ein Stück verlorene Heimat"
Der Kriegsverlust der alten Glocken sei für viele Zeitgenossen schmerzlich gewesen, sagt der Historiker Paul. Schließlich waren sie "ein Stück verlorene Heimat". Spenden sammelnd von Haus zu Haus trugen die Menschen in den entbehrungsreichen Nachkriegsjahren das nötige Geld zusammen.
Nicht nur für die Steinwendener, auch an vielen anderen Orten sei die Anschaffung neuer Glocken in den ersten Jahren der neuen Bundesrepublik, ein Kraftakt gewesen, sagt Paul. Wichtig seien gerade für die Pfalz die Bittbriefe an die Exilpfälzer vor allem in den USA gewesen. Für den "Verein der Mackenbacher in New York" etwa war es "eine Ehrensache", den Menschen in der alten Heimat beim Kauf neuer Glocken unter die Arme zu greifen.
"Ökumene begann auf den Kirchtürmen"
Oft arbeiteten bei den Glockenprojekten Protestanten und Katholiken eng zusammen, betont der Ruhestandspfarrer und Historiker Bernhard Bonkhoff aus dem saarpfälzischen Homburg. Auch hätten die Kirchengemeinden darauf geachtet, den Klang ihrer Glocken aufeinander abzustimmen, sagt Bonkhoff, der mehrere Werke über das Thema Glocken in der Pfalz und im Saarland verfasst hat: "Die Ökumene begann auf den Kirchtürmen."
Manchmal seien resonanzärmere Gussstahlglocken angeschafft worden - auch um zu vermeiden, dass sie wieder in Kriegszeiten abgehängt und zu Waffen gegossen werden könnten, erläutert Bonkhoff.
Spenden für die Glocken
Die Zeit nach den Weltkriegen habe für viele Menschen einen Aufbruch markiert, erinnert Birgit Müller, die Glockensachverständige der pfälzischen Landeskirche und des Bistums Speyer, die auch für die Evangelische Kirche im Rheinland und das Bistum Trier zuständig ist.
Obwohl es ihnen schlecht ging, hätten sie doch gerne für den Kauf neuer Glocken sowie für Kirchenbauten gespendet. Die Zahl der Glocken in den rund 400 Kirchen im Bereich der pfälzischen Kirche schätzt Müller auf insgesamt 1.500 - eine Statistik dazu gibt es nicht.
Auch die Zahl der in Deutschland nach 1918 und 1945 insgesamt angeschafften Glocken sei nicht erfasst worden, informiert der Erfurter Glockensachverständige Marcus Schmidt. Er gehört dem ökumenischen Beratungsausschuss für das Deutsche Glockenwesen an, der von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz eingesetzt wurde.
Anderer Zusammenhalt
Während der Weltkriege habe in den Glockentürmen jeweils eine Glocke als Feuer- oder Polizeiglocke verbleiben dürfen, sagt die Pfälzer Glockensachverständige Müller, die heute für rund 5.000 Kirchen zuständig ist.
Die Zeiten, als man in den Orten gemeinsam fromm für neue Glocken arbeitete, seien wohl endgültig vorüber: "Damals herrschte ein anderer Zusammenhalt als heute."