New York wurde vor 75 Jahren Sitz der Vereinten Nationen

"Parlament der Menschheit" oder "Wasserkopf am East River"?

Die Kritik an politischen Organisationen auf Weltebene ist so alt wie die Idee, sie überhaupt zu schaffen. Papiertiger seien sie, ineffizient und uneins. Doch wo sind die Alternativen zum New Yorker UNO-Hauptquartier?

Autor/in:
Alexander Brüggemann
UN-Hauptquartier am East River in New York / © Chris Melzer (dpa)
UN-Hauptquartier am East River in New York / © Chris Melzer ( dpa )

Es ist das Symbol der Vereinten Nationen schlechthin - neben ihrer blauen Flagge mit Erdkugel und Olivenzweigen: das 1949 begonnene und 1951 vollendete UNO-Hauptquartier am New Yorker East River. Der US-Milliardär John D. Rockefeller lieferte dafür das sieben Hektar große Grundstück eines ehemaligen Schlachthofes, die Stararchitekten Le Corbusier und Oscar Niemeyer die Architektur.

"Hauptstadt der Welt"

Dass aber New York damit quasi auch politisch die "Hauptstadt der Welt" werden sollte, war in der ganz frühen Phase nach dem Weltkrieg noch gar nicht ausgemacht. Als im Juni 1945 - in San Francisco - 50 Gründungsnationen die Charta der Vereinten Nationen unterzeichneten, war der Zweite Weltkrieg im Pazifik noch gar nicht beendet - und die Vorgängerorganisation, der Völkerbund in Genf (1920-1946), noch gar nicht aufgelöst.

Dessen Ziele waren gewesen, zwischenstaatliche Konflikte durch Schiedsgerichte beizulegen und Abrüstung und kollektive Sicherheit zu gewährleisten. Nach dem erschütternden Ersten Weltkrieg mit seinem Giftgas, seinen Abnutzungsschlachten und 17 Millionen Toten wollte die internationale Gemeinschaft 1918/19 ein Zeichen setzen: Nie mehr so ein Blutbad! Keine 20 Jahre später begann der Zweite Weltkrieg - mit diesmal 60 Millionen Toten.

Diesem neuerlichen, noch größeren moralischen Bankrott folgte nun also der Neubeginn in den Vereinten Nationen - und im beginnenden sogenannten Kalten Krieg zwischen Ostblock und Westen und ihren jeweiligen, oft postkolonialen Satellitenstaaten.

21 UN-Einrichtungen mit Sitz in Bonn

Der UN-Hauptsitz befand sich zunächst in London; dort fand am 10. Januar 1946 auch die erste Vollversammlung statt, bei der UN-Wirtschafts- und Sozialrat eingerichtet wurde. Bald darauf folgten die Menschenrechtskommission, der Weltsicherheitsrat und das Sekretariat der UNO. Am 18. April nahm das wichtigste Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen die Arbeit auf: der Internationale Gerichtshof (IGH).

In New York fand dann im Sommer der erste Weltgesundheitsgipfel statt. Und im Dezember 1946, vor 75 Jahren, beschloss die Vollversammlung, ihren ständigen Sitz und den des Sekretariates in New York zu nehmen. Neben dem Hauptquartier sind weitere offizielle Amtssitze in Wien, Genf und Nairobi. Und auch in Bonn gibt es bereits seit 1951 erste Verbindungsbüros. Heute haben 21 UN-Einrichtungen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern ihren Arbeitsplatz in Bonn.

Der junge Staat Israel nahm 1949 seinen Sitz im "Parlament der Menschheit", Österreich 1955, die kommunistische Volksrepublik China 1971, die Bundesrepublik und die DDR gar erst 1973. Sein Ziel, "Nie wieder Krieg", hat die Völkergemeinschaft bislang zu keinem Zeitpunkt erreicht - und die UNO hat mit ihren Blauhelm-"Friedenssoldaten" mehr als einmal eine eher klägliche Rolle gespielt; am augenfälligsten bei den Massakern in Ruanda 1994 und im bosnischen Srebrenica 1995.

Bewältigung globaler Probleme

Doch angesichts all der Hunger- und Flüchtlingskrisen, von Klimawandel, regionaler Konflikte, Seuchen und Epidemien: Wer hätte Ende 2021 - bei allen Defiziten der bestehenden Strukturen - bessere Vorschläge zur Bewältigung globaler Probleme als ein zumindest möglichst großes Einvernehmen ihrer 193 Mitgliedstaaten? Der damalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan erhielt 2001, zu Beginn des dritten Jahrtausends, den Friedensnobelpreis - wohl auch stellvertretend für die so alternativlose Idee der "Vereinten Nationen" insgesamt.

Im politischen und wirtschaftlichen Ringen der Großmächte - USA, China, Russland und Europa - und in den diversen, sich ablösenden Regionalkonflikten der Welt sind die Vereinten Nationen - und vor allen anderen der UNO-Generalsekretär - Mahner, Moderatoren und Sanitäter zugleich. Allzu wirksame politische Instrumente haben sie dabei nicht in der Hand. Und so muss das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR immer neue Höchststände an Geflüchteten vor Gewalt und Menschenrechtsverletzungen weltweit mitteilen.

"Völkerverständigung hat Federn gelassen"

Immerhin: Multilateralismus hat - in der Corona-Krise und nach der Trump-Präsidentschaft in den USA - derzeit wieder mehr Konjunktur. Doch die Völkerverständigung hat Federn gelassen - und war ohnehin zu allen Zeiten leicht zu verspotten. Donald Trump twitterte als Präsident einer der führenden Nationen der Welt Botschaften wie, die Vereinten Nationen seien "nicht mehr als ein Club, in dem sich Leute treffen, quatschen und vergnügen können. Wie traurig!"

Subtiler und weniger platt der frühere US-Botschafter bei der UNO, John Bolton. Er erklärte einst, wenn man von dem - 155 Meter und 39 Stockwerke hohen - Sekretariatshochhaus am East River 10 Stockwerke abnähme, würde das überhaupt niemand merken. Damit traf er den Punkt für eine der wichtigsten Baustellen: die stets eingeforderte Reform und Verschlankung der Weltorganisation. Kritiker sprechen statt vom "Parlament der Menschheit", nur allzu gern vom "Wasserkopf am East River".


Die Flagge der Vereinten Nationen / © Alexandros Michailidis (shutterstock)
Die Flagge der Vereinten Nationen / © Alexandros Michailidis ( shutterstock )

UN-Vollversammlung / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
UN-Vollversammlung / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )

Kofi Annan  / © Facundo Arrizabalaga (dpa)
Kofi Annan / © Facundo Arrizabalaga ( dpa )

Trump vor der UNO  / © Richard Drew (dpa)
Trump vor der UNO / © Richard Drew ( dpa )
Quelle:
KNA