Caritas Zypern ist eine wichtige Anlaufstelle für Geflüchtete

Wo Kleines den großen Unterschied macht

Hilfsbereitschaft für Geflüchtete ist auf Zypern keine Mangelware. Aber ein überfordertes System, steigende Zahlen und wachsende Ängste in der Bevölkerung machen es Hilfesuchenden und Helfern wie der Caritas schwer.

Autor/in:
Von Andrea Krogmann
Stacheldrahtzaun um das Erstaufnahmelager Pournara für Flüchtlinge und Migranten in Kokkinotrimithia (Zypern) / © Andrea Krogmann (KNA)
Stacheldrahtzaun um das Erstaufnahmelager Pournara für Flüchtlinge und Migranten in Kokkinotrimithia (Zypern) / © Andrea Krogmann ( KNA )

Nikosia, Paphos-Tor, Heiligkreuzkirche. Schon frühmorgens hat sich eine lange Schlange gebildet. Menschen aus Syrien und zahlreichen Ländern Südasiens und Afrikas warten geduldig - wenn ihnen nur am Ende einer hilft. Bestmöglich helfen: Das genau will die Caritas, die die Anlaufstelle an der lateinischen Pfarrei betreibt. 10.000 Namen umfasst die interne Datenbank bereits. Mit aktuell täglich bis zu 200 Hilfesuchenden und den Covid-19-bedingt erschwerten Bedingungen kommt sie längst an ihre Grenzen.

Anlaufstelle für Fragen

Informationen über Impfungen, Lebensmittelhilfen, Sprachkurse oder Hausaufgabenclubs in Englisch, Französisch, Arabisch: Die Aushänge im Caritasbüro sind so vielfältig wie die Klientel. Stühle, mit Abstand über die Zufahrt von Kirche, Franziskanerkloster und Nuntiatur verteilt, und ein Sonnenschirm gegen winteruntypisch warme Temperaturen sollen das Warten erträglicher machen. Die Wartenden haben Fragen. Wo kann ich eine Unterkunft finden, wer hilft mir bei der Jobsuche, wie komme ich zum Krankenhaus XY: Gefragt wird nach vielem, denn es fehlt an allem.

Gosia Chrysanthou antwortet ruhig und freundlich. Ihre Gesprächspartner nennt sie Liebling oder Schatz. Fürsorge schwingt mit, wenn sie um Geduld bittet oder ihre Telefonnummer für Nachfragen weitergibt. Die Caritas-Feldteam-Koordinatorin wirkt entschlossen und müde. "Die letzten Tage waren hart", sagt sie. Gleich fünf Flüchtlingsfrauen haben ihre Kinder entbunden, "zusätzlich zum ohnehin hohen Aufkommen an Hilfesuchenden".

Kleinigkeiten machen den Unterschied

"Nichts, was wir tun, ist vollkommen" und "Wir können nicht alles tun" - Die Sätze stammen aus einem Text, der dem heiligen Erzbischof Oscar Romero zugeschrieben wird. Jetzt ziert er die Fenster von Chrysanthous Büro. Auf der Wand hinter dem Schreibtisch hängen Dankesbriefe. Beide sind eine wichtige Mahnung für die Helfer angesichts schier endlosen Bedarfs. Die Menschen kommen wegen kleiner Dinge. "Kleinigkeiten machen einen großen Unterschied", sagt die Polin, die seit 25 Jahren auf Zypern lebt und seit neun Jahren für Caritas arbeitet. "Die Menschen sind in dem System verloren" und "Wer die Sprache nicht spricht, hat ein Problem".

Pournara unweit von Nikosia. Hier kommen sie an, aus Syrien, Kamerun, Somalia, Bangladesch, Kongo und anderen Ländern der ärmeren Welt. Nach jüngsten Angaben kommen täglich zwischen 60 und 100 - mehr, als das zentrale Erstaufnahmelager fassen kann. Isad aus Pakistan zum Beispiel schläft seit Tagen im Freien vor dem Camp. Zusammen mit Dutzenden steht er Schlange vor dem Kofferraum eines PKW. Freiwillige Helfer verteilen ein Mittagessen an jene, die noch auf ihre Aufnahme warten. In das Lager selbst dürfen nur Vertreter des Roten Kreuzes und des zyprischen Flüchtlingsrats.

Lager statt Integrationspolitik

Wäsche hängt in den Zäunen des Camps, in die an mehreren Stellen Löcher geschnitten sind. Keine Fluchtwege, wie man denken könnte. Asylsuchende, die das Lager längst verlassen haben, drängen sich zu Besuchen durch den Zaun zurück. "Bitte keine Fotos von den Lücken", mahnt ein Polizist auf Patrouille. Ein Mann, der sich als Bürgermeister des Ortes vorstellt, in dessen Bereich das Lager fällt, patrouilliert ebenfalls entlang des Lagerzauns. "Das hier ist nicht Afrika", sagt er mit kaum verstecktem Ärger, und: "Warum nehmt Ihr die nicht auf?" Ihr, das ist Deutschland, das sind die europäischen Binnenländer, von denen sich der Mittelmeerstaat an der EU-Außengrenze schon lange alleingelassen fühlt.

Der Mann spricht aus, was immer mehr Menschen auf Zypern denken. Die zyprische Gesellschaft ist eigentlich empfänglich für die Schutzsuchenden, kennen viele doch Flucht und Vertreibung aus eigener Erfahrung. Aber wachsende Ängste vor wirtschaftlichen Schäden, Kriminalität und schlicht Überforderung beginnen zu polarisieren.

Beschleunigte Rückführungsverfahren

An Pournara führt kein Weg vorbei, wollen Geflüchtete Aussicht auf einen legalen Status haben. Hier gehen Neuankömmlinge in Quarantäne, lassen sich registrieren. Die Hoffnung beginnt. Wessen Fall angenommen wird, der erhält seine Papiere und wird entlassen. Viele andere landen im beschleunigten Rückführungsverfahren. Wird ihr Gesuch abgelehnt, müssen sie in ihre Heimat zurück - oder den schwierigen Weg des Einspruchs wählen.

Die Herausforderungen, vor denen Hilfesuchende und Helfer stehen, sind enorm. "Nicht nur wir, das ganze System ist überwältigt", sagt Gosia Chrysanthou, die vor Pournara auf zwei junge Mütter aus dem Kongo wartet. Nicht böser Wille stehe dahinter, nur sei Zypern "ein kleines Land mit einem Sozialsystem, das sich auf die Unterstützung der Familie für die Schwachen stützt. Migranten und Flüchtlingen fehlt offensichtlich diese Unterstützung, so dass das System für sie nicht so funktioniert, wie es sollte".

Überforderung Zyperns

Auch wenn die Regierung einige Anstrengungen unternimmt: Das System zu verbessern, braucht Zeit, erklärt Chrysanthou - Zeit, die die Asylsuchenden eigentlich nicht haben. Bis die staatliche Hilfe bei jenen ankommt, die es in das System geschafft haben, können bis zu fünf Monate vergehen. Die Hilfe, die dann kommt, entspricht etwa der Hälfte dessen, was zum Überleben auf Zypern als Minimum angesehen wird. Die Schwächsten fallen oft bereits vorher aus dem System, sagt die Caritasmitarbeiterin.

Ein paar Erfolgsgeschichten kennt sie auch, doch gebe es einen traurigen Trend: "Nicht wenige mit einer Aufenthaltsbewilligung verlassen Zypern wegen seiner begrenzten Möglichkeiten in andere Länder, wie im Übrigen auch viele Einheimische. Damit verlieren wir sowohl Zyprer als auch Einwanderer." Der Gedanke an einen weiteren Satz an ihrem Bürofenster kommt auf. "Das Reich liegt nicht nur jenseits unserer Bemühungen, sondern auch jenseits unserer Horizonte."


Quelle:
KNA