12 bis 14 Millionen Menschen kamen vor 2019 jährlich nach Notre-Dame - immer mehr. Die Messbesucher werden dagegen - immer weniger. Und doch ist die Pariser Kathedrale in erster Linie, was sie seit Jahrhunderten ist: eine riesige Kirche, das Haus Gottes. Das Erzbistum Paris hat nun nach dem katastrophalen Brand vor zweieinhalb Jahren eine Chance, die andere Kirchenverantwortliche kaum je haben: eine Stunde Null, einen gestalterischen Reset-Knopf.
Und die Macher haben sich viele Gedanken gemacht, um den Spagat hinzubekommen zwischen einem einzigartigen liturgischen Raum und der einzigartigen Chance, ungezählten religiös Unbedarften, aber potenziell Interessierten geistlich zu begegnen. Die Anforderungen an Notre-Dame sind dabei maximal unterschiedlich: von Gläubigen und Atheisten, Neugierigen und Unerfahrenen; und zwischen Stille, Lärm und Klang. Aber: Niemand komme zu 100 Prozent als Pilger oder zu 100 Prozent als Tourist, so die Geografin Marie-Helene Chevrier, die auf die Leitung von Pilgerströmen spezialisiert ist.
Grünes Licht durch Behörde
Am Donnerstag gab die zuständige staatliche Behörde Grünes Licht für die kirchlichen Entwürfe - mit leichten konservatorischen Änderungen.
Schon im Vorfeld, nachdem frühe Entwürfe und Ideen an die Öffentlichkeit gelangt waren, hatte es wütende Rufe gegeben. Man solle Notre-Dame nicht in ein "religiöses Disneyland" der politischen Korrektheit oder eine "Landebahn" verwandeln. Alles solle so bleiben, wie es immer war - oder zumindest seit der Renovierung durch Eugene Viollet-le-Duc nach den Verwüstungen der Französischen Revolution vor fast 250 Jahren.
Doch das geht ohnehin nicht. Zu viel ist seither geschehen: durch den Massentourismus, durch Verlust an Glauben und Religionswissen, durch gewandeltes Stilempfinden. Mehrere Generationen von Kirche- und Glaubenserklärungen haben einander zuletzt abgelöst: Zettel und Folien, dann Audio-Guides, derzeit QR-Codes als Handy-Begleitung. Kirche versucht, mit den Herum- und Weglaufenden Schritt zu halten.
"Katechetische und ästhetische Reise"
Projektleiter Gilles Drouin beschreibt die künftige Innengestaltung der Pariser Kathedrale als eine "katechetische und ästhetische Reise". Der Chef-Liturgiewissenschaftler des Institut Catholique Paris (ICP) legt Wert auf die Betonung und die Beleuchtung des Kirchenschiffs als der Mittelachse der Kirche, die eine "weite Perspektive eröffnet" und "die Seele hebt". Die Neugestaltung solle sowohl dem Gottesdienst als auch Touristen gerecht werden, sagte er der Zeitung "La Croix" .
Der Besucher tritt demnach künftig durch die Mitteltür und nicht mehr durch die Seitentüren ein, um die perspektivische Achse des Kirchenschiffs zu erfahren. Seitlich am Eingang zur Kathedrale soll nach antiker und mittelalterlicher Tradition eine große Taufkapelle platziert werden - was ideell den Weg des Gläubigen hin zu Gott symbolisiert.
Der Chorraum, einst dem hohen Klerus vorbehalten, dürfe "nicht als Bühne behandelt werden", die Kathedrale nicht als "Aufführungssaal", so der Theologe. Sanftes Licht aus den Bänken im Kirchenschiff solle die Gläubigen stärker in die Feier einbeziehen und sie für alle sichtbar als Gemeinde kennzeichnen, auch für jene Besucher, die von Religion und Gottesdienst wenig Ahnung haben.
Besserer Empfang für Touristen
Neben der liturgischen Gestaltung des Raums legte die Projektleitung auch Wert auf einen besseren Empfang für die Millionen großenteils christentumsfernen Touristen. Sie sollen vom Nordschiff nach vorne kommen und über Chor und Südschiff hinausgeleitet werden, um "von der Dunkelheit ins Licht zu gehen". Videoprojektionen oder eingeblendete Bibelzitate sollen dazu beitragen, die spirituelle Entdeckung des Kirchenbaus zu vertiefen.
In den Seitenkapellen will das Pariser Erzbistum einen "Katechese-Kurs" anbieten. Die "Verheißung Gottes" aus dem Alten Testament im Nordschiff. Der Weg durch den Chor soll an Ostern erinnern, vom Kreuz bis zur Auferstehung Christi. Die südlichen Kapellen werden Heiligen aus Paris und der Weltkirche gewidmet. Die Seitenkapellen waren von Viollet-le-Duc bewusst nüchtern gestaltet und in den folgenden knapp 200 Jahren vollgestellt und gestalterisch eher vernachlässigt worden.
Erlebnispfad für Notre Dame zu "trivial"?
Kritiker ätzten schon, Beichtstühle und Altäre müssten Sound- und Lichteffekten weichen; "Themen-Kapellen" träten an ihre Stelle. Der Pariser Architekt Maurice Culot sagte dem "Daily Telegraph", ein experimenteller Erlebnispfad sei für eine so erhabene Stätte wie Notre-Dame "kindisch und trivial". Für im Rang vergleichbare Gebäude wie Westminster Abbey oder die Sixtinische Kapelle käme so etwas niemals in Frage.
Die Kirche selbst, sonst als "retro" verschrieen, nun also als Kulturbanause? Der Religionssoziologe Jean-Louis Schlegel erklärt solche Reflexe im "La Croix"-Gespräch als eine Art kulturelles Trauma nach dem Brand von 2019. Man wolle die Kathedrale "reparieren, wie man einen Körper wiederherstellt".
Es dürfe aber nun nicht um ein bloßes Kulturchristentum gehen, ein "Christentum ohne Christus". Es sei Sache der Kirche, dafür geistliche Impulse zu setzen. "Die Kathedrale selbst erzählt den Glauben der Kirche", so ein Priester des Erzbistums. Trotz des Go der staatlichen Denkmalbehörde: Die öffentliche Diskussion dürfte nun erst richtig an Fahrt gewinnen.