DOMRADIO.DE: Die Medien stehen ja oftmals in der Kritik, aus aktuellen Themen dann gleich eine Katastrophe zu schmieden. Ist das Ihrer Meinung nach auch hier der Fall, wenn von einer gefährlichen Bedrohung unserer Demokratie durch den Rechtsradikalismus gesprochen wird?
Prof. Jürgen Wilhelm (Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V.): Nein, ich rede keinem Alarmismus das Wort, aber da in den Medien eine Schuld zuzuschieben ist meines Erachtens auch falsch. Obwohl natürlich durch mediale Berichterstattung manche kleineren Ereignisse sich multiplizieren und dann plötzlich für Menschen attraktiv werden, die sich vorher noch nicht dazu gerechnet haben, das darf man ja wohl sagen, aber das ist natürlich auch die Rolle der Medien: Kontrolle und Berichterstattung. Das gehört in einer Demokratie dazu.
Die Entwicklung des Rechtsextremismus und des Antisemitismus bis hin in den Rassismus ist ja in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das ist sicher sehr stark verteilt in der Bundesrepublik Deutschland. Wir lesen und sehen das in Sachsen und in anderen Bundesländern. Aber das beschränkt sich keineswegs nur auf die früher so "neu" genannten Bundesländer. Wir haben das in Nordrhein-Westfalen auch. Der Innenminister hat ja praktisch jede Woche eine Berichterstattung über derartige Vorgänge. Die Aussage ist also absolut richtig und wir freuen uns, dass die neue Bundesregierung das im Koalitionsvertrag auch so ausdrücklich formuliert hat, dass der Rechtsextremismus die größte Bedrohung unserer Gesellschaft darstellt.
DOMRADIO.DE: Die neue Bundesregierung will jetzt vermehrt gegen Rechtsradikalismus und Extremismus vorgehen. Welche Hypothek übernimmt sie denn aber von der alten Regierung?
Wilhelm: Es ist schon so, dass auch die alte Regierung das Thema adressiert hat. Auch der frühere Innenminister, der lange gezögert hat, das so zu formulieren, hat in einer seiner letzten Pressekonferenzen – sehr spät leider, aber immerhin – das genauso formuliert und den Rechtsextremismus als größte Bedrohung bezeichnet. Da hat er, glaube ich, vor einigen Monaten den Verfassungsschutzbericht vorgestellt.
Also da fängt die neue Regierung nicht bei null an, aber es ist doch schon wichtig, dass sie nicht nur konkrete administrative Maßnahmen auf den Weg bringt, die ja in unserer Republik übrigens sehr häufig Länderzuständigkeiten sind - also was die Polizei und diese Dinge angeht - aber das auch als politische Bedrohung begreift und die AfD auch hoffentlich nicht schont in den nächsten vier Jahren der Auseinandersetzung. Denn diese Partei im Bundestag ist ja einer der größten Scharfmacher in dieser Richtung.
DOMRADIO.DE: Es wird ja auch immer wieder gefordert, in Richtung rechts klare Kante zu zeigen. Wie könnte Ihrer Meinung nach denn diese klare Kante aussehen?
Wilhelm: Also das Wichtigste ist, dass die Gefahr wirklich immer wieder politisch im parlamentarischen Rahmen durch öffentliche Äußerungen wichtiger Persönlichkeiten, die in der Politik eine Rolle spielen und die in den Medien auch einen Widerhall haben, benannt wird. Die Gefahr muss benannt werden. Es ist nichts für Sonntagsreden, wo man sagt: Ach ja, und ich bin besorgt und solche Dinge, sondern die Gefahren müssen dann angesprochen werden und durch die Verwaltungen, natürlich die Sicherheitsverwaltung, Polizei und Ordnungsbehörden auch umgesetzt werden. Also der Ruf nach mehr Gesetzen ist meines Erachtens nicht zielführend, denn ich würde es mal so sagen: Wir haben kein wirkliches Gesetzesdefizit. Wir haben an der einen oder anderen Stelle ein Umsetzungsdefizit.
DOMRADIO.DE: Sie sind Vorstandsvorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Das Christlich-Jüdische, das wird ja jetzt vermehrt betont. Aber was können denn diese beiden Religionsgemeinschaften zusammen auch noch mal tun, oder wie können die auch auf die Bundesregierung einwirken, dass tatsächlich nicht nur Worte gesprochen werden, sondern auch Taten folgen?
Wilhelm: Wir sind ja seit vielen Jahren Jahrzehnten tätig und hier in Köln und in der Region natürlich in engstem Kontakt mit den Synagogengemeinden und den jüdischen Freundinnen und Freunden. Wir tauschen uns aus. Wir versuchen vor allen Dingen auch an die jungen Menschen heranzukommen. Es gibt vielfältige Aktionen und Initiativen, etwa unserer Gesellschaft, aber das wird es in ähnlicher Weise auch in der ganzen Region geben, dass das Thema Antisemitismus schon in der Schule behandelt werden sollte und sich, wenn man so will, in der Grundschule beginnend bis zur Sekundarstufe II, damit auch offensiv auseinandergesetzt wird, damit die jungen Menschen auch sprechfähig werden.
Sie sollen sehen können, wo der Ursprung ist, welche Vorwände benutzt werden und welche Argumente, ob nun nicht zutreffend oder weit hergeholt oder theologische oder nicht theologische dann letztlich zu einem Antisemitismus führen. Das ist ja ganz wichtig, dass die jungen Menschen auch nicht alleine gelassen werden. Und natürlich kommen Aktionen, öffentliche Veranstaltungen bis hin zu Demonstrationen dazu.