DOMRADIO.DE: Wie ist es denn an den Tagen vor Weihnachten? Merken Sie schon, dass die Anrufe zahlreicher werden?
Annelie Bracke (Leiterin katholische Telefonseelsorge Köln): Wir haben eigentlich immer sehr, sehr viele Anrufe und kaum Lücken dazwischen, sodass wir das jetzt nicht so beobachten können. Wir merken einfach, dass die Stimmung sich verdichtet. Es wird viel über Ängste gesprochen, bedrückte Stimmung, Sorgen. Das Thema Weihnachten taucht da nicht immer unbedingt auf. Aber es ist ja eine Zeit, wo im Äußeren gerade viel passiert. Und es ist aber auch eine dunkle Jahreszeit, wo man sich innerlich einfach auch schwerer tut.
DOMRADIO.DE: Wie schwer ist denn, zu Ihnen durchzukommen?
Bracke: Wir hören immer wieder, wenn jemand durchkommt, zu hören: "Endlich bin ich durchgekommen." Oder wir kriegen auch schriftliche Rückmeldungen. Wir wissen aus Statistiken, dass man es mehrmals versuchen muss oft, bis wir erreichbar sind. Das heißt aber nicht, dass wir große Lücken haben. Wir haben deutschlandweit über 100 Stellen, über 7.000 Ehrenamtliche. Die sind alle geschult, die geben alle ihre Freizeit da rein, einige Hauptamtliche auch. Wir haben natürlich viel, viel abzudecken.
Und wenn dann jemand anruft, dann geben wir dem nicht nur zehn Minuten, sondern so viel wie nötig ist, müssen auch manchmal begrenzen. Aber wenn wir nicht direkt erreichbar sind, da möchte ich wirklich Mut machen, es einfach weiter zu versuchen.
DOMRADIO.DE: Wie gut ist die Telefonseelsorge denn an den Feiertagen belegt?
Bracke: Wir sind durchgehend belegt. Wir haben das auch in unserer Region miteinander abgestimmt. Da sind dann auch mehrere Telefonseelsorgen miteinander vernetzt. Wir sind durchgehend erreichbar. Aber auch da wird es natürlich so sein, dass man Heiligabend anruft und im bestimmten Zeitfenster vielleicht gerade Gespräche geführt werden. Aber, und da sind wir auch stolz drauf, es ist immer jemand da.
DOMRADIO.DE: Mit welchen Sorgen melden sich die Menschen bei Ihnen?
Bracke: Generell melden die sich mit all den Themen, die das ganz persönliche Leben ausmachen. Einsamkeit ist ein sehr großes Thema. Krankheiten, Probleme im Zusammenleben mit der Familie, dem Partner, den Nachbarn, Last am Arbeitsplatz. Das Corona-Thema war natürlich ein durchgehendes seit letzten Frühjahr 2020. Aber auch da, wenn jemand über das Thema spricht, dann heißt die Frage: Was heißt es für mich ganz persönlich? Wo bin ich eingegrenzt? Wo wird die Einsamkeit noch stärker? Wo verschärfen sich Konflikte, die schon da waren? Man spricht nicht über das, was man auch mit jedem Nachbarn besprechen könnte, sondern über das tiefste Innere, was einen da gerade bewegt.
DOMRADIO.DE: Mit welcher Art Gespräche rechnen Sie an den Feiertagen selbst?
Bracke: An Heiligabend sind es oft Menschen, die alleine sind, manchmal bewusst, aber auch ungewollt, und einfach mit jemandem über ihr Leben, ihre Einsamkeit sprechen möchten, aber auch ihre tieferen Gedanken teilen. Ab der Nacht vom Heiligabend und dann erster, zweiter Feiertag haben wir oft viele Anrufe, bei denen es dann bei Zusammenkünften von Familie oder in der Partnerschaft geknallt hat oder wo Erwartungen enttäuscht wurden.
DOMRADIO.DE: Wenn ich weiß, dass ich an Weihnachten alleine bin. Wie sollte ich damit umgehen?
Bracke: Sie dürfen ja zum Hörer greifen. Aber wenn jemand jetzt schon weiß, dass er oder sie allein ist, das sind ja Menschen, die oft auch sowieso schon viel allein sind. Ich finde wichtig, dass man sich nicht immer ausmalt, dass die Einsamkeit ein Außenseiter-Gefühl ist. "Alle haben jetzt jemanden und treffen sich in der Familie. Nur ich bin allein." Sowas verschärft das Alleinsein-Gefühl. Also Alleinsein ist kein Makel, das finde ich einfach mal wichtig. Wenn man gut mit sich allein sein kann, ist das auch eine Stärke. Was nicht heißt, dass man dann mal auch traurig oder wehmütig ist.
Und dann würde ich vorschlagen, sich das gut zu gestalten, es sich schön zu machen. Auch für sich ganz allein. Nicht nur für die anderen, die vielleicht zu Besuch kommen könnten. Es für sich schön zu machen mit Kerzen, mit Texten. Man kann auch in Gottesdienste gehen oder die digital verfolgen. Man kann schöne Musik hören, wenn man noch Menschen hat, denen man verbunden ist, könnte man ja trotzdem sagen: Könnten wir mal an dem Tag miteinander telefonieren? Dass man Brücken hat, die man sich baut
DOMRADIO.DE: Corona macht die Arbeit der Telefonseelsorge sicher nicht einfacher in der Weihnachtszeit, auch organisatorisch.
Bracke: Wir haben sonst auch immer Adressen vorliegen oder Möglichkeiten, wo man vielleicht doch noch mal hingehen kann. Es gibt da wirklich kaum etwas dieses Jahr, weil ja möglichst Kontakte begrenzt werden sollen. Das ist wirklich sehr traurig. Von daher kann man uns weiter anrufen, bundesweit auch, oder eben im Privaten gucken, ob man sich verabreden kann, mal mindestens zum Telefonieren oder für einen Kaffee.
Es gibt für ältere Menschen, die allein sind, was ja oft auch durch Lebensphasen bedingt noch mal verstärkt ist, noch ein weiteres Telefon, das heißt "Silbernetz - gemeinsam gegen Einsamkeit im Alter". Das ist auch eine kostenlose Rufnummer. Die sind an den Feiertagen auch rund um die Uhr besetzt.
DOMRADIO.DE: Gibt es auch Anrufer, die jedes Jahr anrufen, für die Sie alle Jahre wieder der Anker sind am Weihnachtstag?
Bracke: Wir haben Menschen, die uns das ganze Jahr über immer wieder anrufen. Und die melden sich dann oft an den Feiertagen und danken uns für die Begleitung, die wir ihnen das Jahr übergeben haben. Und das ist für uns dann auch sehr schön, das noch mal zu hören.
Das Interview führte Dagmar Peters.