DOMRADIO.DE: Warum finden Sie die Entscheidung der EU grundfalsch?
Ferdinand Kaineder (Präsident der Katholischen Aktion Österreich): Wenn man den CO2-Ausstoß betrachtet, schaut die Entscheidung gut aus. Aber die Schattenseiten werden überhaupt nicht betrachtet. Es gibt für uns zwei Gründe, warum wir diese Technologie für falsch halten.
Erstens ist die Technologie selber eine gefährliche Technologie. Auf der Weltkugel sind bisher zwei Atomkraftwerke in die Luft geflogen. Man ist vielleicht im Detail ein bisschen weitergekommen, aber grundsätzlich ist diese Technologie nach wie vor gefährlich und mit sehr viel Risiko verbunden.
Der zweite Grund, der uns zu unserem klaren Nein geführt hat, ist die Frage: Was kommt danach? Natürlich können wir diese Energie gewinnen, aber es kommt mir so vor, als ob man den Satz nur bis zum Komma liest und den kranken Teil bis zum Punkt weglässt. Der Atom-Abfall, der Atommüll, belastet die nächsten Generationen. Das sage ich auch als Opa von drei Enkelkindern: Was hinterlassen wir da unseren Kindern? Was können die überhaupt dafür oder dagegen tun, gerade die ungeborenen Kinder, dass wir ihnen solche Pulverfässer an Strahlung hinterlassen? Der Satz ist eben nicht mit dem Komma zu Ende, sondern mit dem Punkt.
DOMRADIO.DE: Welche Folgen hätte es denn, wenn die EU tatsächlich Atomenergie als nachhaltig einstuft?
Kaineder: Ich bin mir nicht ganz sicher, aber es wird die Mentalität der Menschen verändern. Ich persönlich stelle fest, dass die EU eine Art Beschwichtigungsgeschichte erzählt. Wenn die EU sagt, das ist eine grüne Technologie und die ist gut, werden die Menschen das weniger kritisch hinterfragen und nachdenken.
Man muss ehrlich sagen, dass vielen Menschen noch nicht bewusst ist, dass wir in Europa und Amerika einen Lebensstil pflegen, der mindestens dreieinhalb Planeten bräuchte. Das ist noch nicht angekommen bei den Leuten. Daher hat die Klimakrise auch mit dem persönlichen Lebensstil zu tun. Auch in der Politik ist das noch überhaupt nicht angekommen.
Die Rahmenbedingungen müssen so gesetzt werden, dass es zu einer wirklichen Transformation, einer Änderung hin zu einem Mitwelt-verträglichen Leben und Wirtschaften kommt.
DOMRADIO.DE: Die österreichische Regierung hat bereits gesagt, dass sie den Vorschlag der EU-Kommission nicht mittragen möchte. Große Staaten wie Frankreich oder Polen stehen dem entgegen, die an der Atomenergie festhalten. Welche Chancen hat ein Einspruch überhaupt?
Kaineder: Wir spüren natürlich den unglaublichen Druck, die Gewalt der Atomlobby, die wirkmächtig den ganzen politischen Prozess durchflutet, um alle Staaten für sich zu gewinnen, damit die Atomkraft bleibt.
Wir als Österreicher und Österreicherinnen haben da aber eine eigene Geschichte, die sie vielleicht kennen. Wir haben ein fertiggebautes Atomkraftwerk Zwentendorf, das nie in Betrieb gegangen ist. Das einzige fertige Kernkraftwerk weltweit, das nie in Betrieb gegangen ist. Das hat die österreichische Seele und Mentalität sehr geprägt. Wir haben uns bewusst gegen die Atomkraft entschieden und dafür Alternativen anzugehen.
Gerade weil Österreich klein ist und es vielleicht den ein oder anderen Staat gibt, der an Atomkraft festhalten will, denke ich an David gegen Goliath. Da ist das Große auch als zu übermächtig betont worden. Es besteht durchaus eine Chance, dass das kleine Österreich gemeinsam mit Verbündeten durch immer wieder bohren, immer wieder hämmern den Wandel bewirkt. Denn mit der Atomkraft kann es so nicht weitergehen.
DOMRADIO.DE: Sie haben bereits einen mächtigen Beistand, Papst Franziskus. Er hat eindeutig Stellung bezogen und mit Blick auf Fukushima die Atomenergie verurteilt, auch in seiner Umweltenzyklika “Laudato si”.
Kaineder: Gerade der Papst hat damals mit seiner Enzyklika etwas angesprochen, dass ohnehin in der Luft lag. Ich bin damals selber zu Fuß als Klima-Pilger Richtung Paris unterwegs gewesen.
Aus “Laudato si” lese ich heraus, dass Papst Franziskus dieser Gedanke der Mitwelt-Gerechtigkeit, also des Lebens auch entlang der Folgen, die wir verursachen, ein großes Anliegen ist.
Mir persönlich ist zum Beispiel eine Art glückliche Genügsamkeit wichtig geworden, die sich gegen diese Gereiztheit des "Immer mehr" stellt. Vielleicht sollten wir auch ein langsameres, ein regionaleres Leben wieder in den Blick nehmen. Dafür braucht es gerade im Bereich der Kern- und Kohle-Verstromung ein viel tieferes Innehalten, um die Not, die diese Technologien in unserer Zeit und der Zukunft verursachen, wirklich zu heilen und zu lösen. Es braucht eine Transformation zu einem einfacheren, wacheren und gemeinsamen Lebensstil.
Das Interview führte Hilde Regeniter.