Zum 225. Geburtstag von Annette von Droste-Hülshoff

"In hundert Jahren möcht ich gelesen werden"

Münster hat sich vorbereitet. Im Januar steht der 225. Geburtstag von Annette von Droste-Hülshoff an. Museum, Dichterweg und wissenschaftliche Projekte holen das Werk der Dichterin in die Gegenwart.

Autor/in:
Christoph Arens
Alte Bücher, in Leder eingebunden / © Shaiith (shutterstock)
Alte Bücher, in Leder eingebunden / © Shaiith ( shutterstock )

Sie gilt als bedeutendste deutsche Dichterin des 19. Jahrhunderts. Ihre Novelle "Die Judenbuche" ist weiterhin Schulstoff, ihre Gedichte "Der Knabe im Moor" und "Am Turme" fehlen in kaum einer Anthologie. Auch wer das Werk der Annette von Droste-Hülshoff nicht kennt, hat sie vermutlich schon mal gesehen - zumindest die Älteren. Denn ihr Porträt zierte den bis 2001 gültigen 20-DM-Schein.

Zu ihrem 225. Geburtstag am 12. Januar erscheint die Schriftstellerin nun wieder auf einem Zahlungsmittel. Das Bundesfinanzministerium gibt eine 20-Euro-Silbermünze zur Erinnerung "an ihren bedeutenden Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte" heraus.

Leben in einer Epoche voller Umbrüche

Geboren wurde die "Stockwestfälin", wie sie sich selber nannte, an einem unwirtlichen Wintertag auf dem Wasserschloss Hülshoff, rund 15 Kilometer von Münster entfernt. Das Siebenmonatskind war kaum lebensfähig. Annette bleibt ihr ganzes Leben kränklich, war stark sehbehindert. Aber sie ist eine Kämpfernatur. Früh zeigt sich ihre große Begabung: Sie ist hochmusikalisch, bereits mit fünf Jahren formuliert sie druckreife Gedichte.

Die Lebenszeit der Droste fiel in eine Epoche starker Umbrüche. Napoleons Kriege, Industrielle Revolution und demokratische Revolution: Als die Autorin 1848 auf der Meersburg am Bodensee starb, war von der scheinbar stabilen Welt des westfälischen Adels nicht mehr viel übrig.

Zwischen Tradition und Ausbrechen

Annette selbst hat die konservativen Wertmaßstäbe schon in jungen Jahren verinnerlicht. Sie versuchte, den weiblichen Tugenden der Biedermeierzeit - Bescheidenheit, Gehorsam, Demut - zu entsprechen.

Zugleich wollte die Dichterin aus Strukturen ausbrechen. Sie wehrte sich gegen die mütterliche Bevormundung, interessierte sich für Naturwissenschaften, erweiterte ihre Freiräume durch Reisen und machte sich damit auch innerhalb ihrer verzweigten konservativen Familie zum Außenseiter.

Galionsfigur des katholischen Deutschland

Das dichterische Werk Annette von Droste-Hülshoffs, von dem der Gedichtszyklus "Das geistliche Jahr" als das wichtigste Stück der religiösen Dichtung des 19. Jahrhunderts gilt, war zu ihren Lebzeiten nur Wenigen bekannt. Erst sechs Jahre vor ihrem Tod wurde "Die Judenbuche" veröffentlicht, die ihr den Durchbruch brachte. Die Novelle ist, wie die meisten ihrer Werke, in Westfalen angesiedelt. Sie entstand allerdings in Meersburg am Bodensee, wo Annette mehrfach ihre Schwester besuchte und 1848 starb.

Der Droste kam es auf langfristige Wirkung an. "Ich mag und will jetzt nicht berühmt werden, aber nach hundert Jahren möcht ich gelesen werden", vertraute sie einer Freundin an. Ihre literarische "Entdeckung" hat die Autorin dem Umstand zu verdanken, dass man sie im "Kulturkampf" der 1870er-Jahre zu einer Galionsfigur des katholischen Deutschland stilisierte.

Zuletzt feiert die Droste erneut eine Renaissance. Viel dazu beigetragen hat der 2018 erschienene Roman "Fräulein Nettes Kurzer Sommer" von Karen Duve, der sie als junge Dichterin zeigt, die sich der erwarteten Frauenrolle nicht anpassen will; die von ihren adeligen Verwandten und Dichterfreunden um Wilhelm Grimm als störrisch und vorlaut empfunden wird.

Spuren in der Stadt Münster

Auch die Stadt Münster hat das Droste-Erbe fest im Blick: Die Annette von Droste zu Hülshoff-Stiftung kümmert sich um den Erhalt von Burg und Park mit dem Museum. 2012 wurde die Burg für rund 2,5 Millionen Euro aufwendig saniert. Zum Ensemble gehört auch das nur wenige Kilometer entfernte Rüschhaus, in das Annette nach dem Tod des Vaters übersiedelte. Ein Center for Literature organisiert Kulturprogramme mit Lesungen, Ausstellungen, Filmen und literarischen Exkursionen im Münsterland.

Und ein Lyrikweg verbindet seit Juni die viereinhalb Kilometer auseinanderliegenden Lebensorte der Dichterin und lädt dazu ein, die "Droste-Landschaft" mit Heide, Wallhecken und von Schwertlilien umkränzten Weihern zu entdecken. Ein Hauptprojekt des Westfälischen Literaturarchivs ist seit 2018 die Digitalisierung des Meersburger Nachlasses, von dem sich Literaturwissenschaftler neue Erkenntnisse erwarten.

War die Dichterin Feministin?

Für die Germanistin Anke Kramer, seit Mai 2021 wissenschaftliche Leiterin der Droste-Forschungsstelle bei der Literaturkommission des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, hat die Dichterin auch aktuell viel zu sagen. Sie habe die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse ihrer Zeit in ihren Werken verarbeitet und sich zum Beispiel mit ökologischen Fragen auseinandergesetzt. Auch habe sie tiefe Glaubenszweifel gehabt. "Sie geriet in schwere Krisen und stand dabei unter genauer Beobachtung durch ihre strenggläubige Verwandtschaft", so Kramer in den "Westfälischen Nachrichten".

Auf die Frage, ob die Dichterin Feministin war, antwortete die Wissenschaftlerin:"Wenn man Feminismus als Kritik an der strukturellen Benachteiligung von Frauen versteht, dann war Droste ganz klar Feministin." Sie sei dabei vorsichtig gewesen und habe alte Traditionen nicht einfach ausgekippt.


Annette von Droste Hülshoff / © Gemeinfrei
Annette von Droste Hülshoff / © Gemeinfrei
Quelle:
KNA