KNA: Monsenor Mumbiela, wie ist die aktuelle Lage in Almaty? Lassen die Spannungen nach den heftigen Ausschreitungen mit vielen Toten allmählich wieder nach?
José Luís Mumbiela Sierra (Bischof der Diözese zu Almaty): Ja, es sieht inzwischen viel, viel besser aus: Die Menschen gehen normal zur Arbeit, der Verkehr fließt wieder, die Schäden werden beseitigt. Es fühlt sich beinahe wie normaler Alltag an.
KNA: Wie haben Sie die Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften erlebt, die in den vergangenen Tagen weltweit für Schlagzeilen gesorgt haben?
Mumbiela: Ich war zu Hause, draußen war es zu gefährlich. Es fielen Schüsse, Granaten wurden gezündet. Auf den Straßen waren viele unbekannte, gewaltbereite Menschen unterwegs, die offenbar von außerhalb gekommen waren. Man wusste nicht, was genau sie im Schilde führten.
KNA: Präsident Kassym-Schomart Tokajew sprach von «Terroristen», «Banditen» und erteilte einen Schießbefehl. Im Ausland wurde dies scharf verurteilt. Wie lautet Ihre Einschätzung?
Mumbiela: Die Sache ist komplex. Zunächst kamen, wie soll ich sagen, gewöhnliche Leute zu den Demonstrationen. Dann aber traten mehr und mehr bewaffnete Personen hinzu - auch aus dem Ausland. Denen ging es nicht um friedlichen Protest gegen die steigenden Energiepreise. Die wollten etwas anders.
KNA: Was?
Mumbiela: Es handelt sich um einen schwer zu durchschauenden Machtkampf auf hoher Ebene. Der Plan war, die Stadt zu erobern, um die Regierung unter Druck zu setzen. Auf diese organisierten Angriffe gegen den Staat musste der Präsident reagieren. In manchen ausländischen Medienberichten wurde der Eindruck erweckt, Soldaten eines unterdrückerischen Regimes hätten rücksichtslos auf friedliche Demonstranten geschossen. Das stimmt so einfach nicht.
KNA: Welche Rolle spielt Russland in dieser heiklen Gemengelage?
Mumbiela:Es gibt kontroverse Diskussionen über die russischen Friedenstruppen, die gekommen sind. Ohne sie wäre es allerdings nicht gelungen, die Lage in Almaty unter Kontrolle zu bringen. Die Angreifer waren schließlich nicht mit Stöcken und Steinen gekommen, sondern sie waren gut ausgerüstet - mit modernen Waffen. Auf so etwas war die kasachische Regierung nicht vorbereitet. Also musste sie sich Hilfe holen.
KNA: Wie kann es jetzt gelingen, das Land wieder zu befrieden?
Mumbiela: Ich bin kein Politik-Experte, aber meiner Meinung nach hat die Regierung einige positive Schritte unternommen, die auf einen Wandel zum Besseren hindeuten. Tokajew scheint mir ein fähiger, erfahrener und dialogbereiter Politiker zu sein. Ich traue ihm zu, dass er die notwendigen Reformen in die Wege leitet. Wir alle träumen von einem friedlichen Kasachstan, in dem soziales Einvernehmen herrscht.
KNA: Was kann die katholische Kirche tun, um diesen Prozess zu unterstützen?
Mumbiela: Es gibt hier nur sehr wenige Katholiken, aber wir beten viel und setzen uns - wo immer es möglich ist - für den Frieden ein. Außerdem versuchen wir, die Weltöffentlichkeit über die Dinge zu informieren, die sich gerade in Kasachstan abspielen.
KNA: Papst Franziskus hat beim Mittagsgebet am Sonntag eine Rückkehr zu «sozialer Harmonie» im Land gefordert. Kommen solche Worte überhaupt in Kasachstan an?
Mumbiela: Als der Papst sprach, waren hier die Kommunikationsmittel weitgehend abgeschaltet. Aber wir sind natürlich trotzdem sehr dankbar für seine Nähe und Unterstützung. Es ist eine große Freude, dass der Heilige Vater in diesen schwierigen Zeiten an uns denkt. Wir sind jetzt nicht mehr allein mit unseren Sorgen. Die Weltkirche blickt dank Franziskus nach Kasachstan.
Das Interview führte Alexander Pitz.