"Fräulein Rottenmeier" - die strenge und humorlose Hauslehrerin in Johanna Spyris Buch "Heidi" mit Haarknoten und Brille - ist ein bekanntes literarisches Exemplar der Spezies "Fräulein". Das Buch wurde 1880 veröffentlicht, vor mehr als 140 Jahren. Wer weiblich ist und in einer Berliner Kneipe seine Handschuhe liegen lässt, dem kann es allerdings auch heute noch passieren, dass ihm schnoddrig "Frollein, Se ham da wat verjessn" hinterhergerufen wird - und zwar ziemlich unabhängig vom Alter. Ansonsten ist die Bezeichnung für Frauen im 21. Jahrhundert kaum mehr in Gebrauch - schon gar nicht als Unterscheidungsmerkmal zwischen ledigen und verheirateten Frauen. Der Duden nennt sie schlicht "veraltet".
DDR erlaubte bereits 1951 den Titel "Frau"
Offiziell ist die Anrede "Fräulein" seit 50 Jahren aus dem Amtsdeutsch gestrichen. Am 16. Januar 1972 verfügte das Bundesinnenministerium, dass der Gebrauch der Bezeichnung "Fräulein" in Bundesbehörden zu unterlassen sei - der Anfang des gendergerechten Sprachgebrauchs war gemacht.
"Für jede weibliche Erwachsene ist die Anrede 'Frau' zu verwenden", so die damalige Anordnung von Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP). In der Folge setzte sich die Anrede nach und nach am Arbeitsplatz und in der westdeutschen Gesellschaft durch. Die DDR war in diesem Punkt fortschrittlicher: Hier erlaubte man bereits 1951 den Titel "Frau" allen, die ihn wollten.
Ursprünglich hatte der Begriff, der vom mittelhochdeutschen "Vrouwelin" stammt, eine andere Konnotation. Frau oder mittelhochdeutsch "vrouwe" war vor dem 19. Jahrhundert keine allgemeine Geschlechtsbezeichnung - dafür gab es "wip" - sondern die Bezeichnung einer Adeligen. Ebenso war auch "Herr" keine Anrede für jedermann, sondern für den Lehnsherren. Das "Fräulein" war entsprechend die Fürstentochter. Diese Bedeutung taucht noch etwa in Goethes "Faust" auf, wenn Faust Gretchen mit den Worten anspricht: "Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?" Und Gretchens Antwort darauf: "Bin weder Fräulein, weder schön, darf ungeleitet nach Hause gehen."
Unverheiratet, berufstätig und häufig schlecht bezahlt
Anfang des 20. Jahrhunderts waren "Fräuleins" unverheiratet, berufstätig und häufig schlecht bezahlt. Sie arbeiteten als Sekretärin oder als Telefonistin - das berühmte "Fräulein vom Amt" kam so zu seinem Namen. Auch Lehrerinnen, die damals nicht verheiratet sein durften, wurden mit "Fräulein" angesprochen.
Sobald ein Fräulein heiratete, wurde sie Frau und hörte auf zu arbeiten - weil die Arbeit finanziell nicht mehr nötig war oder der Ehemann sie nicht erlaubte. Das hatte auch zur Folge, dass sich Frauen über ihren Mann definierten mussten - was sie mitunter vielleicht auch wollten: Wenn der Mann promoviert war, wurden auch sie in der Anrede zur "Frau Doktor".
Entsprechend schrieb 1952 eine Leserin des CDU-Parteiblatts "Union in Deutschland": Die "Doppelanrede Frau - Fräulein ist nichts anderes als die offizielle Einteilung und Wertung des ganzen weiblichen Geschlechts nach seiner erklärten Beziehung zum Manne."
Endung "-lein" als Verkleinerungsform
Die Frauen störte zudem nicht nur die Endung "-lein", also die Verkleinerungsform, die die Frau versächlicht und zur "kleinen Frau" macht. Es ging ihnen auch um sprachliche Gleichheit. "Wie lächerlich würde sich zum Beispiel ein Junggeselle vorkommen, wenn man ihn mit 'Herrlein' titulierte", schreibt eine Dame laut WDR-Bericht damals an das Bundesinnenministerium in einem von zahlreichen Beschwerdebriefen.
Bundestagsvizepräsidentin Lieselotte Funcke gelingt es Anfang der 70er Jahre schließlich, den amtierenden Bundesinnenminister Genscher für die konsequente Tilgung des Fräulein-Titels aus dem Amtsdeutsch zu gewinnen. In einem im Bundesarchiv Koblenz archivierten Interview der Zeitschrift "Brigitte" sagte sie damals, die Anrede "Fräulein" für eine unverheiratete Frau zu verwenden, sei vielleicht früher gerechtfertigt gewesen. "Ein 'Fräulein' war eine Jungfrau. Erst mit der Heirat wurde sie biologisch eine Frau. Auch gesellschaftliches Ansehen erwarb sie nach herkömmlichen Vorstellungen allein durch den Mann." Mittlerweile sei dies aber "eine überholte Sprachgewohnheit".